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Rezension: → Yasmina Khadra - Die Algier-Trilogie

Algerischer Witz mit amerikanischem Bart, französisch gebürstet

In einem Interview mit der Zeit äußerte Yasmina Khadra, er habe mit Kommissar-Llob eine algerische Durchschnittsperson entwerfen wollen. Stellt diese Figur einen algerischen Durchschnittsmann dar, dann wimmelt Algerien nur so von kratzbürstigen, chauvinistischen, raubeinigen, fetten, zynischen, alten und nahezu impotenten Männern. Nein, eine absurde Vorstellung. Worauf Yasmina Khadra mit seiner Aussage hinweisen wollte, ist etwas Anderes. Er spricht von diesem einen Wesenszug, dieser Eigenschaft, die die Seele zu vergiften imstande ist: Seine moralische und chauvinistische Haltung hilft dem schreibenden Kommissar nicht, seine Autoritätshörigkeit zu überwinden. Das quält ihn natürlich. Er steht vor seinem Chef, unterwürfig und mit vor Angst schlotternden Knien. Immer wieder beschrieben. In seltenen Momenten gelingt es ihm, diese Haltung zu durchbrechen. Da ist ein Mensch, der kämpft. Ein Roman-Ich versucht zu sich selbst zu finden. Nichts Besonderes. Was aber wirklich soo noch nicht da war: Die schriftstellerische Arbeit des Kommissars wird mit der Romanhandlung verflochten.

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Der untersuchende Kommissar und der Autor Commissaire Llob, wie er schön frankophon in Algerien daherkommt, werden zu einer Einheit, zu einem kompakten Bestandteil der Trilogie. Da gerät der ungehobelte Kommissar in eine Gesellschaft, von der er abgelehnt, von einzelnen Teilen gar gehasst und geschasst wird. Andere hingegen suchen die Nähe zum Autor Llob, den sie bewundern. Das verleiht den Büchern ein Höchstmaß an Authentizität. Das ist der Hebel, mit dem Yasmina Khadra seine Deutung der Ereignisse der 90er Jahre in Algerien dem interessierten Leser nahebringen möchte. Seiner Überzeugung nach haben viele terroristische Anschläge einen anderen Hintergrund, als den immer schon bereit stehenden, der den radikalen Islamismus zum Sündenbock stempelt. Korruption und Machtstreben der Upperclass fordern nun mal ihre Opfer.

5/2003 © by Greg Niamey

Der Trilogie erster Teil: Morituri

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Im ersten Roman sucht Kommissar Llob die Schuldigen einer Mordserie. Die Opfer sind meist Intellektuelle, und die Bärtigen - das Synonym für Islamisten - sind bekannt für ihre Intellektuellenfeindlichkeit. Doch Llob beackert ein anderes Feld, er ermittelt in den ehrenwerten Kreisen des Geldadels von Algier. Unbestechlich und bissig wie ein Jagdhund. Klar eckt er an und klar klingt das nach Klischee. Dazu passen auch seine vor Zynismus und Sarkasmus triefende Redeweise, seine abwertenden Äußerungen über seine Ehefrau und vielerlei Dinge mehr ... wäre da nicht eben diese - oben beschriebene - Gemeinsamkeit mit dem Durchschnittsbürger, diese oft nicht zu durchbrechende Devotion. Ein Zug, den er mit seinem Assistenten Lino teilt. Ein schmieriger Typ, dieser Lino. Scheint kein Rückgrat zu besitzen, nur erpicht auf sein Erscheinungsbild, macht aus sich eine Karikatur des amerikanisch coolen Ermittlers, den er darstellen möchte. Und das tut er freiwillig oder ist es dem Diktat der Angst eines tief sitzenden Minderwertigkeitskomplexes zuzuschreiben? Aber natürlich gewinnt auch er bald die Sympathien der Leser, jedenfalls meine.

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Dieses ungleiche Paar zieht los von Tatort zu Tatort und versucht dabei eben nicht alles vollzukotzen. Was sie vorfinden, wird von Mal zu Mal entsetzlicher: Durchgeschnittene Kehlen gehören zur eher harmlosen Tötungsart; ansonsten bieten sich den Augen der Polizisten wie der Leser zerstückelte und zerfetzte Leichen oder Opfer, denen regelrecht die Haut abgezogen wurde. In diesem Sinne wahrlich keine leichte Kost. Doch in jeder dieser Szenen ist zu spüren, dass der Autor weit davon entfernt ist, die Beschreibung zu genießen, obwohl er sie manches Mal ausmalt, dass er sie lediglich als notwendigen Bestandteil der zu beschreibenden Geschehnisse ansieht. Sie werden ausgebreitet vor dem Hintergrund von Korruption, von lichtschnell erworbenem Reichtum, vor den Augen einer sich allzu sicher wähnenden und höhnisch grinsenden Crème de la crème.

Derjenige Leser, der über die ersten Seiten hinwegkommt, der die hässlichen Szenen, die bockige Sprache mit den abgeschmackten Sprüchen als adäquates Mittel versteht, grauenvolle Ereignisse zu beschreiben, der wird diesen Krimi nicht mehr beiseite legen.

(Originaltitel: »Morituri«)

5/2003 © by Greg Niamey
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Der Trilogie zweiter Teil: Doppelweiß

Auch mit dem zweiten Buch der Trilogie, dem Roman Doppelweiß, versucht sich Yasmina Khadra im Stil des roman noir. Und das tut er meinem Gefühl nach ziemlich beeindruckend. Auch hier ist weniger detektivische Raffinesse von Bedeutung als das soziale Umfeld der vorgeführten Personen. Und wieder ist die Hauptstadt Ort der Handlung: "Die Sonne über Algier ist purer Orgasmus. Die Nacht über Algier wahre Idylle." Die Romanfigur, ein göttliches Bild von einer fetten Schwuchtel, äußert diese Sätze vielleicht ohne Hintersinn. Legt man sie dem Buch als Schablone zugrunde, so branden sie mir als Leser geradezu höhnisch ans Ohr.

Wer den ersten Teil der Trilogie kennt, dürfte auf Zynismus und Sarkasmus gefasst sein, der dürfte sich auch auf Kommissar-Llob, auf seine Art, Marke extra-dry von vorgestern, Grundtyp der Schwarzen Serie aus den USA der 40er und vielleicht noch der 50er Jahre, gefreut haben; er kommt auch im zweiten Krimi auf seine Kosten.

Doppelweiß. Ein Kartenspiel. Männer in einem Café. Zu denen gehört der Kommissar nicht, auch sein junger Kollege Lino nicht. Sie sind nur in Cafés, um hastig einen Imbiss herunterzuschlingen oder den Besitzer mit recht unfeinen Methoden auszuquetschen. Wofür sie gelegentlich auch richtig Keile beziehen. Um solches in Zukunft zu vermeiden, haben sie Verstärkung bekommen: Der bullige, an einen eingeborenen Indianer Nordamerikas erinnernde Ewegh Seddig, ein Targi, gehört von nun an zum Team. Das Klischee schlechthin; der mit roher Kraft sinnlos waltende Eingeborene vom Stamme der Tuareg. In der Überspitzung wird es gebrochen.

Unter Federführung von Häuptling, Verzeihung - Kommissar Llob macht sich das Team auf, den Verursachern einer erneuten Serie von bestialischen Morden auf die Spur zu kommen. Dass die Ermittlungen nicht in islamistische, sondern in höchste säkular-hedonistische Personenkreise führen, überrascht wenig. Kommissar Llob vermutet hinter ökonomischen Reorganisationen lupenreine kriminelle Machenschaften. Für ihn stellt sich weniger die Frage ob, sondern eigentlich nur noch wie sie mit der brutalen Mordserie zusammenhängen.

Trotz einiger Leichen produzierender Rückschläge, die natürlich nicht fehlen können, bleibt das Team dran. Und Yasmina Khadra belohnt den treuen Leser am Ende wie schon in Morituri mit einer überraschenden Wendung, die mit ein wenig Schadenfreude und einer beachtlichen Portion von Genugtuung auf Breitwand gemalt ist und mich mal wieder genüsslich die Hände reiben lässt.

(Originaltitel: »Double Blanc«)

5/2003 © by Greg Niamey

 

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Der Trilogie letzter Teil: Herbst der Chimären

Gleich zu Anfang wird klar: Mit seinem ersten Krimi Morituri ist Kommissar Llob zu weit gegangen. Ihm werden von verschiedenen Stellen die Leviten gelesen, dass ihm Hören und Sehen vergeht. Ein genialer Rückgriff auf den Beginn der Trilogie beschliesst sie: Die in Morituri angeprangerten Kreise haben die Kritik verstanden und schlagen zurück. Zweifelsfrei ein Schuldbekenntnis. Kommissar Llob hat sein Ziel erreicht. Aber ist er nicht zu weit gegangen?

Man kennt das: Der oder die Ermittler werden bedroht. In der Regel lässt sie das kalt. Aber wie ist das in einem Land mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen, wo ein Leben herzlich wenig gilt. Nicht das erste Mal, dass Angst Llob, ganz zu schweigen von seinem schmierigen Assistenten Lino, die Kehle zuschnürt. Nach außen jedoch gibt er sich betont und bekannt locker. Bis zu dem Tag, da der Bruder eines Freundes, ein Lyriker, einem Attentat zum Opfer fällt. Das geht nah. Ins Persönliche. Kurz darauf wird auch er ins Visier genommen, überlebt jedoch den Anschlag. Zeit, sich erst einmal zurück zu ziehen. Aufs Land. Er geht gewissermaßen ins Exil, auch ins innere. Und wo könnte das besser vonstatten gehen, als in einem abseitigen Dorf, das die Welt, Algier!, obwohl es nicht weit von der Hauptstadt gelegen ist, vergessen hat.

Mit dem Wechsel des Schauplatzes verliert dieses Buch von Yasmina Khadra die Legitimation, sich weiterhin dem roman noir zuzurechnen. Ein Verlust, sicherlich, jedoch tausche ich als Leser dafür etwas Neues, etwas sozusagen herbstlich Schönes ein! Ich erlebe einen ganz anderen Kommissar, einen Menschen, vertraut mit vertrauten Menschen, ein Mensch mit Kindheitserinnerungen, einer alten Nännie, die, wenn ich meinen Reiseerfahrungen trauen darf, dem Bild einer Berberin nachgezeichnet ist. Plötzlich sehe ich mit dem Kommissar die Welt mit den tausend Farbtönen des ländlichen Herbstes. Der Gegensatz zum Großstadtdschungel könnte nicht größer sein, die Idylle nicht perfekter. Doch schon die Anwesenheit des Freundes, der seinen Gedichte schreibenden Bruder verloren hat, erinnert an jene andere Welt, an die Pflicht, sich ihr zu stellen, den oder die Mörder zu überführen.

In der Hauptstadt zeigt der Herbst jenes andere Gesicht, das chimärenhafte. Und früher oder später muss man ihm erliegen.

  (Originaltitel: »L'Automne des chimères«)

5/2003 © by Greg Niamey

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Weitere Rezensionen zu Werken von Yasmina Khadra:

Ein Boxer namens Arthur Rimbaud (zu: Die Engel sterben an unseren Wunden)
Schattenherrscher (zu: Worauf die Affen warten)
Das neue Attentat (zu: Die Attentäterin)
Stoßgebet eines Mörders (zu: Wovon die Wölfe träumen)
Madschnun bei den Taliban (zu: Die Schwalben von Kabul)
Die Unantastbaren (zu: Nacht über Algier, Kommissar Llob)
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