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Khadra: Die Sirenen von Bagdad
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Rezension: → Yasmina Khadra - Die Sirenen von Bagdad

»Mit Raubtierlächeln im Wind«

Blutjung ist der Ich-Erzähler, der sich in Beirut wiederfindet und eine Hasstirade gegen die »Verlogenheit dieser Stadt« vom Stapel lässt. Das wird schnell klar. Wie es ihn in die ungeliebte fremde Stadt verschlagen hat, erfährt der Leser des Romans Die Sirenen von Bagdad erst gegen Ende, als sich der Kreis zu schließen beginnt. Vorerst ist der Leser gut beraten, den Emotionsausbruch des Namenlosen dessen allgemeinem Gemütszustand zuzuschreiben. Wie kam es dazu, dass dieser unschuldig wirkende und wie er dem Leser an einer Stelle gestehen wird, tatsächlich unschuldige junge Mann, der mit seinen 21 Jahren noch nicht einmal eine Frau geküsst hat, sich auf die ultimative Tat vorbereitet, die unweigerlich den Tod mit sich bringt? Nach seinem letzten Roman Die Attentäterin hat der algerische Autor Yasmina Khadra sich erneut auf die Reise in den Nahen Osten begeben. Nachdem er neben dem wütenden Ich-Erzähler auch einen gewissen Doktor Jalal vorgestellt hat, der sich von einem führenden Gegner des bewaffneten Dschihad zu einem seiner glühendsten Verfechter wandelte, beginnt in der Rückblende die eigentliche Handlung im heimatlichen Beduinendorf des Protagonisten, in Kafr Karam, das Stunden von der Hauptstadt Bagdad entfernt liegt.

In diesem vorerst vom Krieg, nicht aber von Gott verlassenen Kaff streiten dieselben auseinanderstrebenden Kräfte, die später in Bagdad dem Druck kaum werden standhalten können. Noch wirken Dorfbande und Beduinenseele mäßigend auf den Pulsschlag der von Arbeitslosigkeit, fehlender Perspektive und gnadenloser Ereignislosigkeit gebeutelten jungen Dorfbewohner. Nicht ein einziger verfluchter Helikopter überquert den klaren Himmel von Kafr Karam. Der Krieg findet einzig in den endlosen Diskussionen beim Friseur oder im Café statt. Hier kann man gemeinsam mit dem Ich-Erzähler dem fahnenflüchtigen Korporal Omar begegnen, der seine Schande im Gebrauch eines unflätigen Vokabulars und in Alkohol zu ertränken sucht. Man kann Yacine und seiner Clique beim Zocken zusehen. Doch der vom Kriegsausbruch zum Abbruch des Studiums Gezwungene sucht das Café nur selten auf. Meist sitzt er in seinem winzigen Zimmer im Haus seiner ergrauten Eltern, wohl behütet und umsorgt von seiner Zwillingsschwester Bahia. Manchmal trifft er auf der Straße zufällig besagten Omar und versucht sich an ihm vorbeizuschleichen, bevor dessen liederliche Ausdrücke ihn, den eher Zartbesaiteten, nahezu niederschmettern. Da ist es schon angenehmer, dem Musiker und Poeten Kadem in die Arme zu laufen, der ihm sein neues Lied Die Sirenen von Bagdad erst vorspielen will, wenn es zu Ende komponiert ist. Doch auch dessen Wehmut, die sich aus der fortdauernden Trauer nach dem frühen Verlust seiner geliebten Frau nährt, kann niederdrücken. Meist ist er Zuschauer und Zuhörer des Geschehens. In eine Ecke gedrückt lauscht er den allmählich schärfer werdenden Auseinandersetzungen. Als eines Tages der zehn Jahre jüngere Yacine den erneut verbal entgleisenden Omar zur Räson bringt, sieht er mit dem Wanken des Altersprivilegs die natürliche Ordnung der Dinge gefährdet.

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Noch hätte der Leser mit Genuss dem Alltagsleben im irakisch-arabischen Dorf folgen wollen. Doch immer mehr rücken Nachrichten, übers Radio aufgefangen, da ein Fernseher noch nicht existiert, von den dramatischen Geschehnissen im Lande in den Vordergrund. Es folgen erste Abwanderungen junger Männer, die sich zum Kampfe gegen die verhassten Amerikaner berufen fühlen. Dann wirken mit Brutalität jene Kämpfe ins Dorf selbst hinein. Unschuldige, darunter ein nahezu Heiliger, werden getötet, andere gedemütigt. Die Verletzung des Protagonisten selbst sitzt so tief, dass er einfach weggehen muss. Hervorgerufen wird sie durch die äußerst rohe Behandlung, die seinem Vater durch die GI's widerfährt. Diesen in nackter Würdelosigkeit erleben zu müssen, die Augen von seiner Scham nicht lösen zu können, droht sein Beduinenherz zu sprengen.

Frauen erscheinen in dem Roman Die Sirenen von Bagdad nur am Rande. Neben Bahia, der mütterlich Sorgenden, die kaum Profil gewinnt, steht eine weitere Schwester des Ich-Erzählers. Sie lebt und arbeitet als Ärztin in Bagdad und ist die erste Anlaufstation des in Scham und Wut Erstarrten. Sie ist engagiert, unangepasst, mit einem - westlichen - Wort: eine starke Frau. Von der tradierten Beduinenhaltung des Bruders wird sie jedoch abgelehnt und verschwindet, kaum eingeführt, wieder aus dem Blickfeld. Eine zynische Bestätigung der Tendenz in der heutigen islamischen Welt. Weit weniger Frauen als noch vor einer Generation entziehen sich der Symbolkraft des Kopftuchs. Eine Tatsache, die als Ausdruck der zunehmenden Polarisierung dieser Gesellschaft gelten darf, deren einen Pol, den zur Gewalt bereiten Fundamentalismus, Yasmina Khadra mit diesem Buch zum wiederholten Mal thematisch aufgreift. Wie in den Romanen Wovon die Wölfe träumen und Die Attentäterin beschreibt er die sozialen und politischen Gegebenheiten, die zu solcher Haltung führen können. Auch in diesem Buch dringt er schmerzhaft tief in die Psyche jener ein, die sich vom Durchschnittsbürger in Selbstmordattentäter verwandeln. In Wovon die Wölfe träumen war dies der algerische Gelegenheitsarbeiter, in Die Attentäterin war es die angesehene Gattin eines palästinensischen Arztes in Israel. Hier nun krümmt sich der unfreiwillig vom Bildungsweg abdriftende Beduine, den die Widersprüche islamischer Tradition in verschärfender Wechselwirkung mit den Überlieferungen eines Nomadenvolkes zu zerreißen drohen.

Eine gefahrvolle tagelange Anreise offenbart die Zerrissenheit des Landes. Aus den Trümmern einer Kaserne »flatterte das vom Kugelhagel zersiebte Porträt eines pausbäckigen Saddam Hussein mit Raubtierlächeln im Wind«. Der Ich-Erzähler geht nicht gerade sparsam mit Kritik am ehemaligen Machthaber um, trotzdem hätten ihn die Amerikaner nicht so vorführen dürfen, aus diesem »Rattenloch« kriechend. Schließlich landet der Protagonist in der Hauptstadt und lässt sich völlig willenlos treiben, nachdem er sich von seiner Schwester und ihrer Unterstützung losgesagt hat. Ohne darauf gehofft zu haben, holt ihn überraschend seine Dorfwelt ein. Ausgerechnet Omar, den er zu Hause möglichst gemieden hatte, erweist sich als sorgender Freund und hilft ihm über das Gröbste hinweg und als er am Ende seiner Möglichkeiten ist, bringt er ihn - äußerst widerstrebend - zu Said. Auch Said stammt aus Kafr Karam. Er war einer der wenigen, der genügend Autorität besaß, Yacine, jenen unausstehlichen Cliquenchef, in die Schranken zu weisen. Hier erweist er sich zunächst als guter Freund. Er stellt den Ich-Erzähler als Nachtwächter in seinem Elektroladen ein. Wäre da nicht diese nahezu unaussprechliche Wut, könnte er sich fast zufrieden fühlen. Er lebt sehr bescheiden und kann seinen Lohn fast in vollem Umfang zur Seite legen, um ihn an Bahia und die Familie zu schicken.

In Saids Laden herrscht reges Treiben und bald erkennt der Protagonist, was in der stets abgeschlossenen Werkstatt in Wahrheit zusammengesetzt wird. Aus alten Fernsehern entstehen keine neuen. Ihre äußere Hülle dient dazu, Bomben aufzunehmen, die hier gebastelt und regelmäßig abgeholt werden. Das kann ihn nicht schockieren, im Gegenteil. Er hat es sich nie in aller Deutlichkeit eingestanden, doch er und mit ihm der Leser ahnte es längst: Mit all seiner noch verbliebenen Energie will er sich in den bewaffneten Kampf werfen. Es ist ihm ohnehin nichts mehr geblieben. Im Grunde ist er schon tot, nur sein Körper schleppt sich noch dahin. Er irrt in der Gegend umher, scheint eher teilnahmslos das Auseinanderbrechen der Stadt zu beobachten. Doch während er zuschaut, »wie die Sanitäter auf den Bürgersteigen die Leichenteile« auflesen, ballt er die Fäuste in den Taschen: »Ich trainierte meine Wut. Ich fragte mich, während die Angehörigen ihre Arme gen Himmel reckten und ihren Schmerz hinausbrüllten, ob ich wohl in der Lage wäre, anderen vergleichbares Leid zuzufügen.« Dies stellt die einzige Textstelle dar, an der sich der Protagonist explizit mit dieser Frage beschäftigt.

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Die Auseinandersetzung mit dem bewaffneten Kampf, mit dem Dschihad, mit den Selbstmordanschlägen der Dschihadisten nimmt einen relativ breiten Raum in dem Roman Die Sirenen von Bagdad ein. Unmittelbar daraufhin angesprochen wird Yasmina Khadras Ich-Erzähler ausgerechnet von jenem Fahnenflüchtigen aus seinem Dorf. Er weicht jedoch aus. Omar lässt es nicht dabei bewenden, bohrt immer wieder nach und verknüpft schließlich sein eigenes Schicksal symbolisch mit einer eventuellen Gewalttat. Mit Omar ist dem algerischen Autor eine der überzeugendsten Figuren dieses sprachlich geschliffenen Romans gelungen. Schillernd in ihrer Widersprüchlichkeit, strauchelnd in ihrer Scham und in ihrem Selbstmitleid und schließlich doch fest in ihrer Überzeugung stellt sie den Leser immer wieder vor neue Überraschungen, bis zuletzt. Auch als stummem Zeugen begegnet dem Ich-Erzähler die Frage nach dem bewaffneten Anschlag. Bei einer nahezu programmatischen Auseinandersetzung muss der zum Befürworter gewandelte Doktor Jalal es sich gefallen lassen, dass ein enger alter Freund, ein - nach westlichem Muster - liberaler Schriftsteller, ihm ins Gewissen redet. Sie, die Intellektuellen, dürften sich diesem Sog nicht überlassen, einem Sog, einer Eigenbewegung, die den Ich-Erzähler längst erfasst hat. Auf vielerlei Umwegen, die die über Grenzen reichende Infrastruktur der Gewalt enthüllt, gelangt er nach Beirut. Alle Vorbereitungen werden getroffen für einen Anschlag, dessen Ausmaß die Anschläge vom 11. September 2001 wie einen Lausbubenstreich aussehen lassen soll.

(Originaltitel: »Les Sirènes de Bagdad«)

4/2008 © by Janko Kozmus
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