DIE MARABOUT-SEITE
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Chronik (1901-2019)

Zur Sozial- und Literaturgeschichte Afrikas * von innen und außen 

Tageschronik: 19. Juni 1999

 

· Die MARABOUT-SEITE zitiert aus Kenia ·  
Daily Nation, Kenya


Anlässlich eines erneuten Besuchs geht Fred Mbugua für die englischsprachige kenianische Tageszeitung Daily Nation in seinem Artikel

"Das Haus, das James** baute"

auf die Wirkungsstätte von Ngugi wa Thiong'o in seiner Heimat ein, das "Kamirithu home and theatre", eines der "bedeutendsten zeitgenössischen kulturellen Wahrzeichen" des Landes.

Zunächst gesteht der Autor, die einzigen Romane v. Ngugi wa Thiong'o, die er gelesen habe, seien: The River Between (dt: Der Fluß dazwischen) - "seziert als Schultext in depremierenden Englische Literatur Unterrichtstunden" - und Ngahika Ndeenda (dt: Ich heirate, wann ich will). Er mag noch ins Vorwort von Detained (dt: Kaltgestellt. Ein Gefängnistagebuch) gesehen haben, aber nur um sich zu bestätigen, dass er es nicht lesen wolle. "Ich kann mich deshalb mit Schamesröte im Gesicht zu den vielen Kenianern zählen, die versichern, über den Autor ist gut zu reden, aber schlecht zu lesen."

Das sei ungewöhnlich, schreibt der Autor weiter, wenn man bedenkt, dass er selbst als Zwölfjähriger mit einem eselsohrigen Exemplar von Ngahika Ndeenda unterrichtet wurde in Kikuyu zu lesen und zu schreiben.

Das Buch habe nach Erde und Kakaopulver gerochen und pergamentfarbene Seiten gehabt. "Ich begann es zu lesen, teilweise, weil ich gehört hatte, das Buch sei auf dem Index und teilweise, weil es eines der wenigen Prosawerke war, das meine Eltern besaßen. Nächtelang las ich wieder und wieder die Parabel ithako ria ngerekano, nach staatsgefährdenden Teilen und marxistischer Propaganda suchend." Stattdessen, schreibt er, habe er einige der vergnüglichsten Passagen gefunden, die je geschrieben wurden.

Brillant sei der Monolog, in dem ein Schuhfabrikarbeiter sich über Ausbeutung beschwere! Seine Ausgabe hatte verschiedene Fotos, die während der 1977er Original-Produktion aufgenommen worden seien. Hier sei seine Wahrnehmung der Kamirithu-Theatergemeinschaft geformt worden. Das Freilichttheater sei wahrscheinlich der einzige Ort, der die zeitgenössische kulturelle Atmosphäre Kenias der 1970er bestens repräsentierte habe. 1976 für 150.000  Sh erbaut, das Amphitheater mit Holzbänken und von einem Bambuszaun umgeben, umfasste 3000 Sitze und zog Theaterbesucher aus dem ganzen Land an. Die Polizei zerstörte es kurz nach dem Verbot der Theateraktivitäten 1982 durch den damaligen Zentralprovinzbeauftragten.

Ngugis Stätte habe seinen Anteil an den Schwierigkeiten gehabt, in die er wegen seiner politischen Ansichten geriet. Gebaut war es auf einem 3  Acre großen Areal nahe des Kamirithu-Handelszentrums in Limuru, das Familienheim bestand aus drei Rundhütten mit Ziegeldach, das traditionellen Reetdächern ähnelt, schreibt der Autor. Hier habe der afro-amerikanische Autor Kamau Braithwaite (Geburtsname Edward Lawson) vor zwei Dekaden eine Namenszeremonie gefeiert, bei der ein Ziegenbock und ein Honiggebräu Verwendung fanden. Der ugandische Dichter Okot p'Bitek und der sudanesische Schriftsteller Taban lo Liyong waren als Zeugen des festlichen Ereignisses unter den literarischen Persönlichkeiten.

Die glorreichen Tage der Heimstätte waren vorüber, beschreibt Fred Mbugua, als Ngugi sie 1982 für ein Leben im Selbstexil aufgegeben habe. Nach der Aufführung von Ngahika Ndeenda sei Ngugi zwischen 1977 und 1978 ohne Verhandlung inhaftiert worden. Er habe Kenia 1982 verlassen, um nach England ins Exil zu gehen. Während seiner Inhaftierung attackierten sechs Männer das Haus und zerstörten die Fenster. Später seien sie arretiert und bevor sie entlassen wurden zu einer Geldstrafe von je 1000 Sh verurteilt worden.

1990 attackierten bewaffnete Gangster die Familie erneut, heißt es in dem Artikel weiter, sie verletzten seine erste Frau Nyambura und machten sich mit Eigentum im Wert von fast 500.000  Sh davon. Ngugi habe mit seinen gemeinsamen Kindern mit Nyambura - Thiong'o, Nduchu, Mukoma, Wanjiku, Njoki sowie der adoptierten Ngina - das Heim danach verlassen; die Kinder seien ihren eigenen Weg gegangen oder Ngugi in die USA gefolgt. Nur Kimunya, das zweite Kind, blieb an Ort und Stelle und würde immer noch mit seiner Familie dort leben. Sogar Ngugis geschiedene Frau habe sich gezwungen gesehen zu gehen. Sie habe in einem Pflegeheim in Nairobi gelebt, und sei bald darauf im Alter von 56 Jahren nach langer Krankheit verstorben. Ngugi sei nicht zur Beerdigung erschienen, "auch wenn dieses Mal, anders als 1985 beim Tod seiner Mutter, keine unmittelbare Bedrohung bei seiner Rückkehr bestanden hätte".

In ihren letzten Jahren habe Ngugis Frau, Nyambura, einen guten Teil der ursprünglichen Rollenverteilung des kontroversen Dramas Ngahika Ndeenda wiederhergestellt, es habe jedoch erneut Probleme mit der Regierung gegeben. Das Theater, in dem das Ursprungsstück aufgeführt wurde, ist seit langem verschwunden, stellt der Autor sachlich fest, ersetzt sei es durch das Kamirithu Village Polytechnic and Adult Classes Centre. Das Heim sei nun "eine gewöhnliche, wenn auch ungewöhnlich aussehende Heimstätte". Beide Plätze seien immer noch Wahrzeichen von Kamirithu ...

Der 61-jährige Professor selbst habe gegenwärtig die Erich Maria Remarque Professor für Sprachen und Vergleichende Literatur an der New York University (NYU) inne. Er unterrichte ebenfalls Theaterforschung ["Performance Studies"] und lebe mit seiner zweiten Frau Njeeri wa Ngugi und seinen vier Kindern zusammen: Lashambi, Nducu, Mumbi-Wanjiku und Njoki, seiner Tochter aus erster Ehe. Sieben Jahre nachdem er Kenia verlassen habe, um nach Großbritannien zu gehen, sei er in die USA übergesiedelt und habe an verschiedenen Universitäten unterrichtet, inklusive des Elitekollegs der Yale University bevor er zur NYU gekommen sei. (...)

Abschließend bemerkt der Autor: Ngugi, dessen Werke in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt worden seien - herausragend die Tatsache, dass er als Einziger in Kikuyu schreibe - bedeute für ihn immer die Stimme von Ngahika Ndeenda. "Bedauerlicherweise ist dies die Stimme eines literarischen verlorenen Sohnes, die zuletzt vor langer Zeit in seinem Heimatland gehört wurde." · (Daily Nation, ÜEK: J.K.)

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Quelle:
The Daily Nation, Kenya (Daily Nation)

Anmerkungen:
* inkl. arabischer Raum

** Ngugi wurde auf den christlichen Namen James getauft; im Jahre 1976 nahm er den traditionellen Namen an
ÜEK: J.K. --> Aus dem Englischen übersetzt und kommentiert: Janko Kozmus ©


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