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Sahar Khalifa - Der Feigenkaktus
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Khalifa: Der Feigenkaktus
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Rezension: Sahar Khalifa - Der Feigenkaktus

Vom Aufbruch aus der Melancholie

Dieses Buch, das vor etwa einem Vierteljahrhundert geschrieben worden ist, hat nichts von seiner Aktualität verloren. Neben den beiden Polen palästinensischen Lebens - der terroristischen Gewalttat und der sich ins Schicksal fügenden Haltung - werden auch alle dazwischen auftretenden Nuancen beschrieben. Lediglich die Stimme der Frau ist noch zaghaft. Es scheint, als bereitete die Autorin Sahar Khalifa ihren Geschlechtsgenossinnen in der Gestalt von Nuwar erst den Weg. Stilistisch erinnert es mal an die klassisch orientalische Erzähltradition, dann wieder entwickelt es die Rasanz eines Actionfilms: Sprache kommt abgehackt daher, imitiert im wahrsten Sinne das Stakkato eines Maschinengewehrs. Modern müsste man es nennen, wäre dieser Ausdruck nicht mittlerweile zu einem antiquierten Begriff verkommen.

Nach der Lektüre der ersten Kapitel wird klar, nicht der ständige Wechsel zwischen (kürzeren) ruhigen Passagen und sturzbachähnlichem Erzählfluss bestimmt diesen Roman, sondern eine weitere Besonderheit: Das abrupte Herausnehmen einer beschriebenen Person aus dem direkten Geschehen. In dem einen Augenblick spricht Abu al-Iss mit einem Gefängnisinsassen, im nächsten driftet er in die eigene Gedankenwelt ab. Der Wechsel aus der direkten Rede zum inneren Monolog bringt eine permanente - oft von massiven Zweifeln begleitete - Bewertung der Ereignisse mit sich. An sich keine Besonderheit. In der hier praktizierten dichten Folge jedoch entsteht trotz der weiten Schauplätze - es geht vom Westjordanland, bis nach Tel Aviv - der Eindruck eines Kammerspiels. Es ist, als würde Sahar Khalifa, die reale Welt, die zu beschreiben sie vorgibt, ausschließen, sie der spezifischen Form der palästinensischen Melancholie überantworten, die spätestens seit dem zweiten verlorenen Krieg von 1967 für die Literatur des Volkes ohne Land charakteristisch ist und vornehmlich in der Lyrik Ausdruck gefunden hat. Aus dieser kurzen, aber lebendigen Tradition heraus erklärt sich auch der Titel des Romans. Die palästinensische Dichterin Fadwa Tuqan schreibt:

Sie wuchsen im verlassenen Walde der Nacht auf,
im Schatten des bitteren Feigenkaktus ...

Im Mittelpunkt des Geschehens steht nicht eine einzelne Person, sondern eine Gruppe von Menschen in der palästinensischen Stadt Nablus im Westjordanland. Freunde, Verwandte, Arbeitskollegen und immer wieder die Angehörigen der Familie al-Karmi selbst werden mit ihren Sorgen und Nöten glaubwürdig beschrieben. Seit der Krankheit des Vaters lastet die Hauptverantwortung für die Familie auf den Schultern des ältesten Sohnes Adel. Er muss mit den neuen Gegebenheiten der einst reichen, weil Grund besitzenden Familie umgehen. Seine Bewertung der Situation des palästinensischen Volkes wirkt differenziert. Sie zeugt von einem hohen Maß an aufgeklärter Bildung und persönlichem Mut, der ihm jedoch nicht hilft, sich von der Abhängigkeit von seinem Vater zu befreien. Davon, dass er in einer israelischen Fabrik arbeitet, ahnt jener nichts. Adels kleine Schwester Nuwar ist heimlich in einen jungen, inhaftierten Kämpfer verliebt und sein jüngerer Bruder Basil, der während seines ersten Gefängnisaufenthaltes von seinen Zellengenossen den Beinamen Abu al-Iss - Vater der Ehre - erhält, platzt schier vor Stolz. Ihm fällt eine entscheidende Rolle innerhalb der Familie zu. Abu al-Iss und seinesgleichen widmet die Autorin ihr Buch.

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Vom Aufbruch ...

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Der Roman beginnt mit der Rückkehr eines Vetters der Familie al-Karmi. Usama hat in den reichen Ölstaaten studiert und gearbeitet und zeigt sich schockiert von den Verhältnissen in seiner Heimat, die von totaler Kontrolle durch die Israelis geprägt sind. Für den Leser relativiert sich diese Perspektive in der konkreten Beschreibung des Alltags der Handelnden, während Usama seinem Blick, seiner Bewertung der politischen Verhältnisse ebenso treu bleibt, wie der von Beginn an verfolgten Absicht. Seine Grundhaltung spiegelt sich auch in seinen persönlichen Beziehungen wider. Es scheint nicht verwunderlich, dass eine Integration in den Kreis um die Familie al-Karmi - ihre Schicksale prallen an einem einzigen Punkt aufeinander - nicht wirklich vollzogen wird. Und ausgerechnet in der traditionellen Geborgenheit dieser Familie wird die Begrenztheit der Welt eines Kammerspiels durch einen ganz und gar unpathetischen Moment der Wahrhaftigkeit aufgebrochen.

(Originaltitel: »Al Subbar«)

5/2003 © by Janko Kozmus
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