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Rezension:
Sinan Antoon - Irakische Rhapsodie
Ein
Tunnel in die Freiheit
"Das
weisse Blatt Papier verlockt mich zur Freiheit, in meiner Abgeschiedenheit
umherzustreifen. Ich werde die Oberfläche des Schweigens mit meinem
Gefasel zerstören. Vielleicht verwandeln sich die Wörter in
Märchenwesen, die einen Tunnel dorthin graben, oder in Prismen,
die ich um mich herum aufhänge, um hindurchzuschauen."
Eine
Schlüsselstelle des Romans Irakische Rhapsodie präsentiert
sich dem Leser mit diesem Zitat und gleichzeitig - im Aufzeigen des
Nebeneinanders von poetischer und Alltagssprache, die des Öfteren
auch sehr drastisch ausfallen kann - ein durchaus typischer Textteil.
Der Ich-Erzähler Furât, der gleich zu Beginn der Handlung
vom Campus weg inhaftiert wird, hat von einem Mitinsassen namens Achmad
Papier zugesteckt bekommen und zögert lange, bevor er sich dazu
entschließt, Sehnsüchte und Erinnerungen der letzten Jahre seines
Lebens in Freiheit aufzuzeichnen.
Mit einer präzis abgesteckten Struktur verleiht der Autor seinem
Roman jenen Halt und jene Einheit, die die spontanen und poetischen
Erinnerungsbruchstücke zu einem Ganzen fügen, zur Irakischen
Rhapsodie. So steht jeweils am Anfang und am Ende ein fiktives Dokument.
Die Schreiben betten eine Handlung ein, die in Rückblicken im Wesentlichen
die Zeit des Ersten Golfkrieges (1980 bis 1988) umfasst und einen bemerkenswerten
Einblick in den - insbesondere universitären - Alltag dieser Periode
erlaubt. Bei dem ersten Dokument handelt es sich um ein mit dem Vermerk
"Streng vertraulich" versehenes, internes Schreiben des Ministeriums
des Innern, Direktion Staatssicherheit. Datiert ist es mit dem 23. August
1989. Bei einer anlässlich eines Umzugs vorgenommenen Inventur
habe man einen teils unleserlichen, handschriftlichen Text aufgefunden.
Für die Durchsicht des Manuskripts, zur Klärung mancher Zweifel,
schlage man den Genossen Talâl Achmad vor. Den Inhalt des
zweiten Schreibens vom 1. September 1989 am Ende des Romans zu verraten,
liefe der Intention des 1967 geborenen Autors eindeutig zuwider.
Sinan Antoon, Sohn eines irakischen Christen und einer us-amerikanischen
Mutter, lebte bis zu seinem Bachelor-Abschluss 1991 in seiner Heimatstadt
Bagdad, um dann in den USA sein Studium fortzusetzen und anschließend
als Dozent für arabische Literatur tätig zu werden. Nicht
alles in diesem Roman erwachse der persönlichen Erfahrung des Autors,
stellt der Übersetzer Hartmut Fähndrich im Nachwort fest.
So sei er nie in Haft gewesen. Das tut dem Kurzroman Irakische Rhapsodie
jedoch keinen Abbruch, da er der Gewalt im Gefängnis wenig Raum
einräumt, dies jedoch besonders eindringlich, als er den Leser
durch die Ich-Erzähler-Perspektive eine Vergewaltigung förmlich
am eigenen Leib verspüren lässt, sondern in erster Linie die
Allmacht der Baath-Partei und die Absurdität des Personenkults
spöttisch unter die Lupe nimmt. Beide greifen in geradezu grotesker
Weise in den Alltag ein, sodass es dem Leser mitunter schwer fällt
zu unterscheiden, ob und inwieweit es sich bei den Passagen um erzählte
Realität handelt oder um Phantasie des Inhaftierten, der seiner
Ohnmacht und seinem Zorn in dieser Weise ein Ventil zu verschaffen sucht.
Zentrale Begriffe des autokratischen Systems werden von ihm denunziatorisch
verzerrt. Im ersten Moment fühlt sich der Leser gegängelt,
wenn er neben Begriffen wie "Repupsikanischer Palast", "Demordkratie",
"Scharlament" oder "Kommissionswichsglieder" jeweils
einen Verweis vorfindet, der zu Erklärungen am Seitenende führt,
die besagen "Gemeint ist wohl Republikanisch" oder "Kommissionsmitglieder"
etc., bis er sich vergegenwärtigt, diese Erklärungen gelten
vermutlich nicht ihm, vielmehr begebe sich mit ihnen ein solcherart
für die Staatssicherheitsbehörde Zensierender in gehörigen
Sicherheitsabstand zur Textvorlage.
Neben
der albtraumhaften Wirklichkeit, die der Gefangene durchlebt und deren
Vergangenheit er aufzeichnet, stehen lichte Momente der Erinnerung,
leicht und verspielt, voller Zärtlichkeit. Sie gelten neben seiner
Liebe zur Studentin Arîdsch seiner Großmutter, bei der er
aufgewachsen ist. Obwohl die gläubige Christin selbst mit den herrschenden
Zuständen hadert, wenn beispielsweise der Sendebeginn der von ihr
geliebten ägyptischen Fernsehschnulzen immer wieder wegen pompöser
Nabelschauen des Einpersonenstaats hinausgeschoben wird, ermahnt sie
ihren Enkelsohn immer wieder zur Vorsicht. Er müsse sich mit seinen
Äußerungen, mit seinem Spott zurückhalten, sonst werde
er eines Tages einfach verschwinden. Sie selbst arrangiert sich insoweit,
als sie zwar in ihrer Wohnung das Bild des Gröfaz, des "größten
Führers aller Zeiten" erwartungsgemäß platziert, dies
jedoch in einem möglichst kleinen Format. Furâts Freundin
Arîdsch gehört der Bildungsschicht an und scheint sich zu
seiner Überraschung und Freude wenig um die Konventionen der Gesellschaft
zu kümmern. Auch die Anhänglichkeit zu seinem Fußballverein
Saurâ trägt Züge von Liebe, eine Eigenschaft, die er
mit Tausenden von Fans teilt. Eines Tages gelingt es Furât, Arîdsch
zum Besuch eines Fußballspiels zu bewegen. Der Gegner seines Lieblingsverein
ist der allseits gehasste, weil von der Regierung gesponserte Raschîd-Klub.
Das Engagement der Regierung für einen Fußballverein ist
nur ein Beispiel, wenngleich in seiner Perfidie herausragend, für
ihre Einmischung in sämtliche Lebensbereiche, für den Versuch
allgegenwärtige Omnipotenz zu demonstrieren. Besonders deutlich
wird dies im universitären Bereich. Hier erreicht das repressive
System orwell'sche Ausmaße. Die Mehrzahl der Professoren repliziert
nicht nur herrschende Dogmen, sondern scheint von deren Wahrhaftigkeit
gar überzeugt zu sein. Ein Literaturprofessor fordert den erste
Aufmerksamkeit erringenden, dichtenden Ich-Erzähler auf, das Lob
des Führers zu singen, ein anderer, ein ehemals bedeutender Kommunist,
droht jegliche Selbstachtung zu verlieren, indem er sich wegduckt. Seine
Biografie fließt wie die Geschichte seiner Parteigenossen nur
am Rande ein. Hier wünschte sich der interessierte Leser mehr Ausführlichkeit.
Aber vielleicht ist diese Erwartungshaltung fehl am Platz, dieser Roman
bleibt seiner subjektiven Haltung und dem spontanen Ausdruck verpflichtet,
beeindruckend ersetzt bildhafte Sprache essayistische Ausflüge:
Drei Viertel seines Lebens verbringe man wartend, sagt der Ich-Erzähler.
"Das Warten zieht sich hin, weil die Zeit selbst ein unbehauster
und geistesgestörter Mitbürger ist, der furchtsam zitternd
auf den Gehsteigen herumstolpert und von der Geschichte erbarmungslos
bespuckt und bepisst wird."
Sinan
Antoon teilt die Handlung des Romans Irakische Rhapsodie in überschaubare
Erinnerungsstücke ein, in denen - um in der Sprache seines Ich-Erzählers
zu bleiben - Furâts Wörter in ihrer poetischen Schönheit
über weite Strecken Märchenwesen gleichen, die ihm am Ende
einen Tunnel in die ersehnte Freiheit graben. Ob diese jedoch dem Reich
der Phantasie oder der Realität angehört, mag der Leser selbst
entscheiden, während er durch die von Furât aufgehängten
Prismen in seine Welt schaut.
(Originaltitel:
I'dschâm)
03/2009
© by Janko Kozmus |