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Last Update: 22.06.21
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Autorenportraits

DAS AKTUELLE BUCH
cover: otoo: adas raum
SHARON DODUA OTOO:
ADAS RAUM

 | → afrikanische und arabische Literatur

 |  anspruchsvoll phantastische Literatur

 

Einstimmender Text zur Autorenübersicht:

 

Leben und Werk. Werk ohne Leben

YEWANDE OMOTOSO: DIE FRAU VON NEBENAN
YEWANDE OMOTOSO
(Nigeria/Südafrika)
DIE FRAU VON NEBENAN
Bei der Betrachtung von Leben und Werk jener Autoren, die sich der Lyrik, Prosa und Dramatik verschrieben haben, erscheint mir die Unter­teilung in zwei Gruppen eine lohnende Heran­gehens­weise. In der einen Gruppe tummelt sich die über­wiegende Mehr­heit. Diese Autoren weisen ein heraus­ragendes oder respek­tables Werk auf, dem sie viel Energie und Zeit in ihrem Leben über­lassen. Für Eska­paden, die sich jenseits des Üblichen, des Alltäg­lichen bewegen, bleibt nicht mehr viel Spielraum übrig. Trotz des ange­sehenen Berufs – es mag auch Berufung sein – umschließt sie eine Aura der Norma­lität, die nur selten von der Genialität eines Werks überstrahlt wird. In der zweiten Gruppe befinden sich jene Autoren, die gleichfalls ein respektables und mitunter großartiges Werk ihr Eigen nennen, die jedoch gleichzeitig, sei es durch ein über­durch­schnitt­liches Maß an Energie oder durch enorme Willens­an­strengung ein Leben führen, das spätestens nach ihrem Tode die Aufmerk­samkeit von nicht aus­schließlich Literatur­interessierten auf sich zieht.

Vor allem auf einige Vertreter der zweiten Kategorie möchte ich hier eingehen, also auf jene, deren Biografie auch auf den zweiten Blick spannender als ihr Werk erscheint. Es gab sie zu allen Zeiten. Lord Byron drängt sich mir auf; er gehört eindeutig dazu. Doch sprengt er den literarischen Raum, den näher­zubringen ich mir vorgenommen habe. Nichts­desto­trotz galoppieren seine schwarzen Reiter dreist auf dieser Seite herum. Weiterlesen→

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Portraits in alphabetischer Reihenfolge
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Chinua Achebe (1930 - 2013)
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  | José Eduardo Agualusa (*1960)
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Raja Alem (*1963 ?)
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Mongo Beti (1932-2001)
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Ambrose Bierce (1842-1913/14)
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Paul Bowles (1910 - 1999)
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André P. Brink (1935 - 2015)
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Mia Couto (*1955)
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Amma Darko (*1956)
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Kamel Daoud (*1970)
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Fatou Diome (*1968)
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Assia Djebar (1936 - 2015)
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Unity Dow (*1959)
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Buchi Emecheta (1944-2017)
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Tsegaye Gabre-Medhin (1936 - 2006)
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Damon Galgut (*1963)
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Gamal al-Ghitani (1945 - 2015)
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Khalil Gibran (1883-1931)
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Nadine Gordimer (1923-2014)
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Helon Habila (*1967)
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Chenjerai Hove (1956 - 2015)
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Rayda Jacobs (*1947)
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Denis Johnson (1949 - 2017)
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Ryszard Kapuscinski (1932 - 2007)
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Abbas Khider (*1973)
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Elias Khoury (*1948)
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Ahmadou Kourouma (1927 - 2003)
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Fouad Laroui (*1958)
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Doris Lessing (1919 - 2013)
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Amin Maalouf (*1949)
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Nagib Machfus (1911 - 2006)
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Alia Mamduch (*1944)
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Dambudzo Marechera (1952 - 1987)
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Henning Mankell (1948 - 2015)
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Jack Mapanje (*1944)
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Zakes Mda (*1948)
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NEU> Maaza Mengiste (*1971) <NEU
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Guido Morselli (1912 - 1973)
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Es'kia Mphahlele (1919-2008)
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NEU> Mukoma wa Ngugi (*1971) <NEU
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Meja Mwangi (*1970)
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V. S. Naipaul (1932 - 2018)
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Marie NDiaye (*1967)
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Mike Nicol (*1951)
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Lewis Nkosi (1936 - 2010)
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Ben Okri (*1959)
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Pepetela (*1941)
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Rafik Schami (*1946)
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Hamid Skif (1951 - 2011)
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Ahdaf Soueif (*1950)
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Wole Soyinka (*1934)
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Yvonne Vera (1964 - 2005)
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Najem Wali (*1956)
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Zoë Wicomb (*1948)
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Slavoj Žižek (*1949) - außer der Reihe
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Fortsetzung:

Leben und Werk. Werk ohne Leben


Wie nicht anders zu erwarten finden sich auch südlich der Sahara Autoren, deren Biografie größere Aufmerk­samkeit erregt als ihr Werk. Zuallererst fällt mir einer der großen alten Männer ein – guess who?! Im gleichen Atemzug der – obgleich enfant terrible dieser Region – weit weniger bekannte Dambudzo Marechera. Zu behaupten, die Drei wiesen mehr Gemein­samkeiten auf als es einem – meinem – unbedingtem Wollen auf der Suche nach Originalität entgegen­kommt, wäre vermessen. Und doch belegen die Biografien dieser so unterschiedlichen Menschen Taten und Ereignisse, die auf einige charakterliche Kongruenz hinweisen.

Lassen sich solche, eher lebens­hungrige Autoren autobio­grafisch aus, kommt das unserer – genau, das ist die Stelle an der Sie als Leser, schwupps, vereinnahmt werden –, kommt es also unserer Neugierde sehr entgegen. Besonders, wenn es sich dabei um Ausnahmepersönlichkeiten wie den nigerianischen Nobel­preis­träger Wole Soyinka handelt. Seine Kindheits­erinnerungen Aké. Jahre der Kindheit zählen mit zum Feinsten, was diese Gattung je hervorgebracht hat. Aber auch seine Jugenderinnerungen Ibadan, Streunerjahre. 1946-1965 warten auf nahezu jeder Seite mit Überraschungen auf. Und die Autobiografie seiner reiferen Jahre Brich auf in früher Dämmerung, die im Original 2006 erschienen ist, hat nichts von der Frische der früheren Lebens­beschreibungen eingebüßt. Müßig zu hinterfragen, ob dies der Schreibkunst des Nobel­geadelten oder seinen anhaltend spannenden Lebens­umständen zu verdanken ist. In jeder Zeile ist zu spüren: Der Mensch hat – im Gegen­satz zu vielen dieser schillernden Individuen aus dem Bereich von Politik und Showbiz, deren Memoiren ihre geister­hafte Herkunft kaum zu verbergen suchen –, dieser Mensch also hat, was er selbst aufzeichnet, wirklich gelebt.

Die wenigsten literarisch Gebildeten würden es offen eingestehen, aber selbst­redend sind sie nicht weniger als der Durch­schnitts­mensch an den kleinen, ganz privaten Geheim­nissen ihrer Heroen interessiert. Wie mögen die sich wohl im Bett machen, mit wem haben sie’s getrieben?, wird immer weniger verschämt nach­gefragt. Von Lord Byron heißt es, er habe es nicht nur mit Frauen gemacht und oben­drein war unter diesen gar seine Schwester. Ja, richtig, es war ja bloß seine Halb­schwester:

Der Bruder mit dem Hinkebein
nimmt sich viel Zeit für's Schwesterlein.
 

Doch welcher Mann kann von sich schon behaupten, mit derselben Journalistin im Bett gewesen zu sein wie Fidel Castro. An dieser Stelle der Prahlerei, der nur scheinbaren Grat­wanderung zwischen Einge­ständnis und Wahr­haftigkeit, ist mir Wole Soyinka besonders nah. Da ist der alternde Mann, Jahrgang 1934, wieder halbstark und gibt mit seinen Eroberungen an!

Der Wole mit dem krausen Haar  
liebt die Karibik, wirklich wahr.

Auch in puncto soziales Engagement lässt sich Lord Byrons Biografie sehen, geradezu vorbildhaft. Hat sich der britische Adlige nicht im Oberhaus für die streikenden Maschinen­stürmer eingesetzt, die Ludditen?

Wole seinerseits war schon als Kind Teil sozialer Auseinander­setzungen. Er wurde von den streikenden Markt­frauen in Abeokuta – ein Meilenstein sozial-politischer Landes­geschichte –, zu denen seine Mutter gehörte, als Bote eingesetzt. Eine zum Symbol geronnene Tat, eine Markierung, der er lebens­lang weitere hinzufügt. Sein Kampf gegen autokratische Strukturen in seiner Heimat dürfte dem interessierten Leser hinlänglich bekannt sein und hat ihn nicht selten äußerster Gefahr ausgesetzt. Das Aufbegehren des anderen sub­saharischen Ver­treters, Dambudzo Marechera, gegen die rassistische Kolonial­regierung in seinem Land war mit Sicher­heit rand­voll von jugend­lichem Über­mut und (spät-)pubertärem Nonkon­formismus. Es mündete wenig überraschend in einer fatalen Folge­richtig­keit, der Suspen­dierung vom akademischen Betrieb. Ein Umstand, der den jungen Gegner des Ian Smith-Regimes ins Exil nach England zwang, wo er ebenfalls aus akademischen Tempeln expediert wurde. Ein Querkopf sondergleichen, wie sein älterer, nigerianischer Kollege, wie jener Lord, in dessen Heimat sich Dambudzo fortan in der alternativen Szene und auf den Straßen der Haupt­stadt herumtrieb. Das war Ende der 1970er bis Anfang der 80er Jahre der Fall, gut zwanzig Jahre früher machte Wole Soyinka in London bedeutende Erfahrungen, erste mit der Theater­arbeit, nach­haltige mit einer Frau: Er heiratete eine Engländerin und ließ sich bald wieder scheiden, bevor er mit dem Sohn aus dieser Beziehung wieder in Richtung afrikanische Heimat aufbrach.

Lord Byron, der sich in den griechischen Unabhän­gigkeits- und Freiheits­kampf ein­mischen wollte, begab sich zu diesem Zweck ins Land des klassischen Alter­tums und fiel dort nach ca. einjährigem Aufen­thalt dem Sumpf­fieber zum Opfer. Andere Quellen sprechen von einer Lungen­entzündung, der ebenso unheroisch, als Nach­folge­erkrankung von Aids, auch jener junge Simbabwer erlag.

Im Übrigen ist es keinesfalls so, dass Soyinkas Werk neben seinen Autobiografien keinen hohen Stellenwert hätte, immerhin hat er den Nobelpreis erhalten. Doch die Tatsache, dass er – neben nur zwei Romanen – in der Hauptsache Essays und vor allem Theater­stücke verfasst hat, die natur­gemäß eher einem kleinen Theater­publikum bekannt sein dürften als dem herkömm­lichen Leser, stützt die These von der für das Auge des Betrachters größeren Spannung im Leben als im Werk des Nigerianers.

Auch das vergleichsweise schmale Werk des Quer­treibers Marechera hinterließ deutliche Spuren. Seinen querigen Bildern, seinen sperrigen Assoziationen, seiner bis an die Schmerz­grenze prallenden Konsequenz, kurz: seiner innovativen Schreibe verdankt seine Lyrik wie seine Prosa große, anerkennende, über die Landesgrenzen reichende Aufmerksamkeit. Doch welch' ein Gegensatz tut sich auf, betrachtet man die Kind­heit des Nobel­preis­trägers und des Außen­seiters Marechera. Letzterer stammte aus den untersten Schichten, sein Vater war Leichenhausarbeiter, und Dambudzo wünschte sich nichts so sehr, als dem elterlichen Heim, dem Haus des Hungers, so auch der Titel seiner ersten Prosa­veröffent­lichung zu ent­fliehen, während Wole wohl­behütet, sein Vater war Schul­rektor, seine Anlagen bilden konnte.

Von Byron, der erst im Alter von zehn Jahren den Adels­titel erbte, weiß man, dass er trotz Titel mit einer finanziell prekären Situation zu kämpfen hatte, überdies mit dem Spott seiner Mitschüler, da er mit einem Klumpfuß zur Welt gekommen war. Kein leichtes Los für ein selbst­verliebtes, ego­zentrisches Wesen. Es flüchtete sich in Phantasien, in denen das Schwimmen und besonders das Reiten eine große Rolle spielten; beides Fähigkeiten, die schon der Junge mit großer Akribie pflegte, da er bei deren Beherrschung nicht von seiner Körper­behinderung eingeschränkt wurde. In einer seiner, mit Rache­gelüsten ange­reicherten Phan­tasien sah er sich als Anführer einer Bande von schwarzen Reitern auf schwarzen Pferden. Vielleicht gar nicht so weit entfernt von der Realität des letzten Lebens­jahres des Lords in Griechen­land, als er das Kommando über eine Art Interna­tionale Brigade innehatte.

So unterschiedlich die drei hier in den Blickpunkt gerückten Schriftsteller auch sein mögen, so hoffe ich, dass jene Kongruenz der Charaktere, von der weiter oben die Rede ist und die vom offen­sichtlichen Schreib­talent mit bestimmt sein mag, mindestens in Schlag­lichtern erkennbar auf­leuchtete. Überschneidungen finden sich in der extremen Eigensinnigkeit bei jedem der Drei oder positiv ausgedrückt: in einer konsequenten Orientierung an nicht übernommenen, sondern ureigenen Vor­stellungen, ein gewisses, zum Teil auch höheres Maß an Selbst­ver­liebtheit und ein gut Stück Abenteuer­lust, das meinem Gefühl nach auch ernsthaft verfolgter politischer Arbeit nicht abträglich sein muss. Über allem schwebt ein hohes Maß an Phantasie, Ursprung immer wieder über­raschender Bilder in Texten, die der Absicht zu folgen scheinen, möglichst Inkohärentes zu verknüpfen. Hier der Versuch eines ebensolchen:

In meiner Phantasie erleben wir eine Ver­dichtung der Zeit: Lord Byron, Dambudzo Marechera und Wole Soyinka treffen im London des, sagen wir, auslaufenden 19. Jahrhunderts aufeinander. Dambudzo betritt einen Buchladen im vornehmen Stadtteil Bloomsbury. Der Laden­besitzer begrüßt und beäugt dann miss­trauisch den liederlich gekleideten Studenten. Von dem ist kein Umsatz zu erwarten, er würde stunden­lang in den Büchern stöbern ohne je vorzu­haben, eines zu erwerben. Wovon auch? Dambudzos Blick streift über die Bestseller von Charles Dickens, innerlich darüber den Kopf schüttelnd, dass dieser vor fast zwei Jahrzehnten verstorbene Viel­schreiber ohne jegliche Genialität und voll von triefender Moralität immer noch im Sortiment Platz findet. Er sucht nach neuen innovativen Schreibern. Sein Blick schweift von den Büchern ab und bleibt an einem älteren Kraus­haar hängen, das an einem Tisch mit Sachbüchern steht, bürgerlich adrett das Äußere, den dritten Band von Marx’ Kapital in Händen haltend und aufmerksam darin blätternd. Ein junger, bemüht elegant gekleideter Lord, erkennbar verarmter Landadel, bittet den älteren Nigger um Verzeihung, wie er sich an ihm vorbeidrängt. Der Alte blickt nicht auf, brummt nur unverständlich und rückt näher an den Buchtisch heran. Der Adlige kommt auf Dambudzo zu. Ihre Blicke treffen sich kurz, in beiden wird jeglich anderer Eindruck von Über­raschung überdeckt: der Lord darüber, an diesem Ort gleich auf zwei Schwarze zu treffen, der Student über die – trotz des offen­sichtlichen Geh­fehlers – würdevolle Geschmeidigkeit seines Gegen­übers, das ihm irgendwie vertraut vorkommt.

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Leben und Werk ...

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Die Drei sind die einzigen Besucher, der kleine Laden würde mehr auch kaum aufnehmen können. Plötzlich drehen sich ihre Köpfe. Vor dem Ladenfenster ist ein junger schäbig gekleideter Bursche mit schräg sitzender Kappe aufgetaucht. Er winkt mit der Zeitung in einem Arm, während er unter dem anderen Arm einen dicken Stapel hält und schreit: "Jack the Ripper schlägt erneut zu. Fünftes Opfer des Schlitzers. Extrablatt: Jack the Ripper schlägt erneut zu!"

Janko Kozmus © 2012

 

* Bedanke mich bei Albert Kluge für den Code dieses dynamischen Linkwechslers, den ich nur leicht verändert habe!