Mohamed El-Assyouti geht in der englischsprachigen
Al-Ahram Weekly aus Kairo detailliert auf die Zusammenarbeit
des Regisseurs Osama Fawzi und des Drehbuchautors → Mustafa
Zikri ein:
"Phantomkameraden"
Beraubt
der üblichen kommerziellen Attraktionen - Präsenz
von Superstars, Songs, Situationskomik, erzwungenen sexuellen
Anspielungen und einschüchternden Ansprachen -, schreibt
Mohamed El-Assyouti, sei Gannat Al-Shayatin (Paradies gefallener
Engel) wahrscheinlich die bestgeplante Produktion des Ägyptischen
Kinos seit Jahrzehnten. Regisseur Osama Fawzi und Drehbuchautor
Mustafa Zikri glaubten, dass ihre gemeinsame Arbeit an zwei
Filmen - sie haben schon an dem Film Afarit Al-Asfalt (Asphaltdämonen)
zusammen gearbeitet - von einem gemeinsamen Geist zeuge. In
beiderlei Hinsicht - Konzeption wie Ausführung -, sei
die spätere Zusammenarbeit im Vergleich zur vorherigen
ein Fortschritt. "Es ist eine Herausforderung für uns
in dieser Gesellschaft und in dieser verwesenden Filmindustrie
einen Film mit dem Thema Tod zu machen, mit einem Leichnam
als Protagonisten und einem Minimum an Anstand, was die ästhetische
und die Produktionsqualität angeht", behaupteten sie.
QUELLEN:
Die Figur des Protagonisten stamme, wie El-Assyouti berichtet,
aus einer unvollendeten Geschichte von Zikri, während
die drei Tramps aus seinem Roman Ma Ya'rifahu Amin (Was Amin
weiß) herrühre. Des weiteren ziehe Zikri den Roman
Der Mann, der starb von Jorge Amado heran, um den Hauptplot
zu konstruieren. Zikris Drehbucharbeit sei immer präzise
und berücksichtige die Unzulänglichkeiten der lokalen
Filmindustrie, konstatiert El-Assyouti, während Osamas
Regie äußerst gewissenhaft sei "in der Produktion
einer deutlich abgehobenen, scharfen, dichten und schnell
visualisierten Sprache".
THEMATIK
UND ÄSTHETISCHE ANNÄHERUNG: Fawzi erinnere sich,
heißt es weiter, dass der Film seinen Ursprung in ihrer
Absicht habe, das Problem der Todesvorstellung anzugehen sowie
die Heuchelei und den abergläubischen Respekt und der
mit diesem verbundenen Ehrfurcht.
Laut
Zikri bestehe die Schönheit nicht darin, die Barriere
zwischen Leben und Tod zu transzendieren, sondern im zeitweiligen
Verweilen an dieser. "Was ich an Amados Roman mochte, ist,
dass er es anders als in Schumachers Flatliners (1990) und
mehr als in Bergmans [in The Seventh Seal (1957), Cries and
Whispers (1972), und Fanny and Alexander (1983)] wagte kontemplativ
zu verweilen, das Weiterschreiten jenseits der Schwelle des
Todes unterlasse."
Obwohl
es viele literarische Exkursionen ins Leben nach dem Tod,
inkl. Homer, Vergil, Dante und Chaucer gebe, führt El-Assyouti
Zikris Anschauung weiter aus, "legte Amado solche Leitung
ab, ein Ausschluss, der seinen Roman als filmisches Rohmaterial
qualifizierte, weil er die Unbeholfenheit und die Plumpheit
der Visualisierung solchen unbekannten Territoriums für
die Lebenden verweigere". Bilder, die versuchen das Problem
jeglicher posthumer Realität anzugehen, tendierten lt.
Zikri dazu, abergläubisch und nicht imaginär zu
sein, nicht allein wegen der Produktionsgrenzen, die es in
den meisten Filmindustrien gebe, sondern auch wegen der "unabänderlichen
rätselhaften Natur des Subjekts".
Zikri
finde es leichter ein Drehbuch ohne Vorlage zu schreiben,
weil die Existenz einer literarischen Quelle eine große
Zahl von fundamentalen Entscheidungen beschränke. Daraus
resultiere als Konsequenz, dass er nicht übermäßig
auf den Plot des Romans vertraute, dessen Ende er zu optimistisch
und zu idealistisch fand. Gannat Al-Shayatins Protagonist
unterscheide sich sehr von jenem Amados. Das erste Kapital
überschauend, so El-Assyoutis Urteil, habe sich Zikri
entschieden, den Beginn in jener Minute zu wählen, als
der Protagonist stirbt. Was davor komme, argumentiert Zikri,
wäre von geringen dramatischen Wert für einen Film,
der versucht ein sogar dramatischen Level zu etablieren und
durchzuhalten, indem er die Präsenz des Todes als Fakt
beibehält, physisch verkörpert durch den Leichnam,
der auf beiden Charakteren und auf dem Zuschauer für
die ganzen 80 Minuten lastet.
"Ich
denke, das ist ein geeigneter Weg zu zeigen, wie unterschiedlich
die Menschen auf den Tod blicken, über ihn rätseln
oder angesichts seiner Gegenwart aufgeben. Filmzeit ist sehr
kostbar, ich möchte keinen Tiefpunkt haben, eine Entwicklung
und einen Höhepunkt", füge Zikri hinzu.
Natürlicher
Instinkt sei Fawzi als Antrieb für die Charaktere von
Afarit Al-Asfalt und Gannat Al-Shayatin lieber als eine sozial
ausgeprägte Funktionalität. Instinkt und mit ihm
verbundene Schwäche sei eine Seite des Naturalismus,
die Fawzi möge, er erkläre jedoch, dass der Zusammenprall
von Bourgeoisie und Tramps niemals als Illustration einer
sozioökonomischen Perspektive beabsichtigt war, er sei
nicht als Selbstzweck oder als ein Hauptanliegen des Films
eingeführt worden, sondern war eine Konsequenz der Dramatisierung
von zwei unterschiedlichen, jeweils exklusiven Gesellschaften.
Zikri
nehme Zuflucht, heißt es in dem Artikel weiter, zu Instinkt
als eine inhärente Determinante von Charakter, wie es
den ökonomisch aufgezwängten gegenübergestellt
sei, den genetischen Determinismus berücksichtigend,
welcher irgendwie mit dem Schicksal verbunden sei, der jedoch
den fotografischen Realismus ausschließe. Zikri ziehe
irgendeiner reduktionistischen psychoanalytischen und materialistischen
Lesart der Realität das Transreale vor, das Übertriebene
und Ironische, eine Präferenz, die innerhalb seines kinematischen
Stils immer im Vordergrund stehe.
Was
für Zikri so angsteinflößend am Tod sei, sei
die Existenz einer anderen Zeit. "Es gibt einen Schlüssel
- etwas zeitbezogenes und unbekanntes - der jedes Rätsel
lösen kann, der aber für uns verloren ist. Das wesentliche
künstlerische Problem ist zeitbezogen: du verschwendest
dein Leben, indem du etwas produzierst, das zeitgebunden ist
und das einen unendlich kleinen Minutenplatz in einem ewigen
Zeitband besetzt. Wie sinnlos!"
Zikri
glaubt, dass es genau diese Qualität der Vergeblichkeit
- sowie deren logischer Schlüsse - ist, die die Zweideutigkeit
von so vielen Aspekten eines Kunstwerks untermauere, dessen
Lösung sich jenseits des Künstlers selbst befinde.
Das Dilemma des Künstlers sei, dass er eine transzendentale
Bedeutung nicht ausdrücken könne, ohne Zuflucht
zu Werkzeugen zu nehmen, die unweigerlich in ein etabliertes
Interpretationsschema einzuordnen seien.
Fawzi
gestehe, dass es einen Grad an Abstraktion im Skript gibt,
die sich in die visuelle Sprache des Films hinein erstreckt,
doch dank der Gegenwart vieler realistischer Elemente laufe
der Film nicht Gefahr in einem abstrakten Gebilde zu münden.
"Meine
ästhetische Annäherung, mein Stil ergibt sich mit
jedem einzelnen Film", behaupte Fawzi. Gemäß den
unterschiedlichen Charakteristiken eines jeden Films, die
die Produktion umgebenden Bedingungen und ihrer eigenen Interaktion
mit all diesen Faktoren, ergebe sich ein bestimmter Stil.
Er habe keine vorbestimmte Herangehensweise, eine Methode,
die er während seiner Karriere zu benutzen beabsichtige,
weil die Zeit und wechselnde Bedingungen fortwährend
zu dem letztendlichen Produkt beitrügen. Er beginne mit
einem anständigen Drehbuch und seinem Thema und dies
konstituiere die Hauptfaktoren, die den Stil bedingten; auf
der anderen Seite habe er keine Neigungen zu verschiedenen
Techniken, Formen und Genres. Ein Minimum von Produktionsstandards
sollte natürlich zugängig sein.
In
Paradies gefallener Engel bestand Fawzi darauf, alle Elemente
und Details zu kontrollieren; eine ruhige nächtliche
Umgebung herrsche vor, zu keiner Zeit sei auch nur ein einziges
menschliches oder tierisches externes Element sicht- oder
hörbar - nicht einmal in den Straßenszenen - außer
es sei bereits Teil der bestehenden Vision. Fawzi vermutete,
"dass es notwendig war die Welt von Paradies gefallener Engel
einzuschnüren, um mit dieser sehr eigentümlichen
Geschichte fertig zu werden, um die vollständige künstlerische
Kontrolle zu behalten, aber dennoch führte ich gelegentlich
Bezüge zu tatsächlichen Menschen und Plätzen
ein. Um die Besonderheit des Universums von Paradies gefallener
Engel zu betonen, musste ich ihn mit der Alltagswelt in einer
subtilen Art und Weise kontrastieren."
Doch
während das ägyptische Publikum viele Elemente,
Bestandteile seiner eigenen Kultur, erkennen wird, sei auch
die Bemerkung Marco Müllers, des Vorsitzenden des Locarno
Film Festivals, wo der Film 1999 gezeigt wurde, der Film könne
von einem beliebigen Punkt der Welt stammen, weit davon entfernt,
ungültig zu sein. Die Konzentration auf formale Aspekte
trage sicherlich dazu bei, Müllers Bemerkung zu bestätigen.
DURCHFÜHRUNG:
"Hätten wir die Gelegenheit gehabt, den gesamten Film
in einem Studio zu drehen, hätte ich nicht einen Moment
gezögert", erklärt Fawzi.
Doch
nur 30 Prozent des Drehens fanden im Studio Galal statt. Der
Rest des Gesamtmaterials beinhalte Außenaufnahmen mit
all den sie begleitenden Risiken.
Aus
Kostengründen habe das Team auf die Eskorte von Sicherheitskräften
bei Außenaufnahmen verzichtet. Der zweimonatige Aufschub,
um nachts auf der 6th October Bridge drehen zu können
war vergebens. Der Dreh musste abgebrochen werden, weil eine
Straßengang Crew und Schauspieler mit Steinen und Flaschen
attackiert habe. (...)
[Der
zweite - für die Marabout-Seite weniger relevante - Teil
des Artikels von Mohamed El-Assyouti befasst sich im Wesentlichen
mit Detailfragen der Technik der filmischen Umsetzung des
Themas durch den Regisseur.] ·
(Al-Ahram,
ÜEK:
J.K.)
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