In seinem Hintergrundbericht für die Kenya
Times über einheimische Sprachen und Dialekte vertritt
der Autor Mwangi Muiruri die These:
"Ngugis Theorie der Mundartliteratur ist undurchführbar"
Die Rede ist von dem wohl bekanntesten Autor und Dozent des
Landes
"Professor →
Ngugi
wa Thiong'o, den man mit Recht Kenias William Shakespeare
nennen könnte". Er glaubt, der einzig sichere Weg, den
Respekt der Jugend für Kultur zu mobilisieren, sei, für
diese in Mundart zu schreiben.
"Ich
zweifle daran", sagt der Autor, "ob diese Theorie haltbar
ist". Die Frage, die sich seines Erachtens stellt, ist: "Was
sind die Herausforderungen von Mundartliteratur angesichts
moderner Jugendkultur".
Eine
der wesentlichen Herausforderungen liege im Sprachgebrauch,
heißt es weiter. Die Vereinheitlichung von Sprachgebrauch
begnetete einer großen Herausforderung, weil die Bücher
in den Regalen eine vierfache Ausformung von Sprachen hervorgebracht
haben. "Wir sehen uns der dem Tode geweihten (gesprochen nur
von der Jugend), ausgestorbenen (niemand kann erfolgreich
in ihr kommunizieren), gefährdeten (beherrscht nur von
den Älteren) und vermeintlichen Standardsprache als den
Einheitssprachen in diesem Land gegenüber, Englisch und
Suaheli."
Diese
Situation habe Lücken aufgetan hinsichtlich effektiver
Kommunikation; und das Schreiben in Mundart würde lt.
Mwangi Muiruri das ohnehin komplizierte Feld der Kommunikation
weiter komplizieren.
Aber
die schlimmste Herausforderung von Professor Ngugis Position,
schreibt Mwangi Muiruri, ist die Zunahme von Bildungsinstitutionen,
die Mundartstudien in den Lehrplänen ausschließen.
Aus der Tatsache, dass sie behördlich genehmigt sei,
schließt der Autor, "dass die Regierung ohne viel nachzudenken
einen Weg gebahnt hat für die Abnahme von Muttersprachen.
Die Mehrheit der kenianischen Jugend kann zwar bequem in ihren
Muttersprachen kommunizieren, aber sie kann nicht chiffrieren
(komponieren) oder Zeichen (Buchstaben) in
ihren Muttersprachen dechiffrieren
(lesen)."
Dann
kommen die Medien hinzu. Mit der ständig verbesserten
Informationstechnologie wurde die kenianische Jugend in eine
Medienkultur eingeführt,
die weithin dafür kritisiert wird, sich in Richtung Sensationalismus,
Sex, Gewalt und Verbrechen zu zentrieren. Dies wurde für
den hohen Anteil Jugendkriminalität verantwortlich gemacht,
heißt es in dem Artikel weiter. Alles, was in Mundart
im Namen der Förderung traditioneller Kultur veröffentlicht
sei, würde angesichts so definierter Medienkultur dem
Tadel der Mehrheit der Jugend begegnen und als steif bezeichnet
werden. Als guter Fingerzeig für diese Annahme diente
- zur Bestürzung der Älteren - die Popularität
von Big Brother- und ähnlichen Fernsehshowprojekten innerhalb
der Jugend.
Dies
rücke nach Ansicht des Autors wirkungsvoll den Vergleich
der städtischen mit der ländlichen Jugend in den
Vordergrund. Städtisch sein heißt im Sinne der
Jugend, der Zivilisation näher sein, während ländlich
sein, Primitivität bedeute, ein Grund sich lächerlich
zu machen. In dem Kampf, ländliche Kultur abzulegen,
findet es die Jugend neben anderen Trends schick, möglichst
knappe und enge Kleidung zu tragen, westliche Programme in
den Medien zu hören und zu sehen und ihre Muttersprachen
abzulegen im Austausch für 'aufregende' Dialekte wie
→
"sheng".
"Wo
belässt solches die Mundartliteratur?" fragt der Autor
Mwangi Muiruri ironisch. "Bestenfalls im Mülleimer."
Wenn
Professor Ngugi argumentiert, die Eltern seien verantwortlich
dafür, in welcher Weise ihre Kinder die Kultur respektierten,
übersehe er die schlimmste Herausforderung der Familie.
Dies wäre ein guter Rat für die traditionelle Familie
gewesen, inzwischen aber ist eine Menge Wasser unter der Brücke
in Richtung Modernisierung geflossen,
schreibt Mwangi Muiruri. Gegenwärtig liege z.B. das Fruchtbarkeitsalter
der modernen Jugend bei 15 Jahren. Dies bedeute, dass wir
Mütter und Väter haben, die 15 Jahre plus 9 Monate
alt sind. "Was können diese 'Eltern' ihren Kindern über
Kultur beibringen?"
Im
Anschluss daran kommt der Autor auf die Lesegewohnheiten der
Jugend zu sprechen. Besuche man eine Bildungsinstitution,
seien es Grund- oder Oberschulen, Colleges oder Universitäten
nach Ende der Abschlussprüfungen, könne man Bücher
zerstreut und zerrissen in den Höfen liegen sehen, stellt
Mwangi Muiruri fest, nur wenige Vernünftige würden
ihre Bücher an die jeweils unteren Klassen weitergeben.
Aus
solchen Beobachtungen schließt der Autor, dass die gebildete
Jugend sich den 'gefilterten' Lesegewohnheiten anschließen
werde, "die sich nur darum kümmeren, das zu hören
und zu lesen, was sie interessiert". Sie werde Zeitungen,
Boulevardblätter, Romane lesen, nur um sich zu unterhalten
und nicht in erster Linie, um sich zu informieren. Dies sei
"manifest in einer Kultur innerhalb der Jugend", die sich
definiere in der Beachtung spezifischer Kategorien von Musik
sowie über die Teilnahme an Cliquengesprächen ("meist
Tratsch"). In diesem Szeneraio bedeute Mundartliteratur bestenfalls
"lachhafte Geschenke für ihre Großmütter".
An
diesem Punkt komme die Religion ins Spiel. Sie diktiere, schreibt
Mwangi Muiruri, dass wir uns innerhalb einer gesetzten Ordnung
benehmen, die beeinflußt, was wir uns zu hören
und lesen erlauben. Manche Kulturen und Traditionen stimmten
nicht mit der Religion überein. "Meine
Kirche sagt, ich müsse getauft sein und Professor Ngugis
Kultur sagt, ich müsse christliche Namen ablehnen. Jegliche
Mundartliteratur die Ngugis Vorstellungen von Namensgebung
propagiert, würde unverzüglichen religiösen
Sanktionen ausgesetzt werden".
Geht
man einen Schritt weiter, schreibt Mwangi Muiruri, so würde
kulturelle Förderung in Professor Ngugis Sinn, ernsthafe
Beleidigungen der Modernität nach sich ziehen. (...)
Der Autor nennt hierfür Beispiele: "In einigen Gemeinden
beschneiden wir unsere Mädchen, schätzen die Rolle
von Hexenzauber, verdammen die Frauen dazu, die zweite Geige
zu spielen, opfern unsern Göttern, versichern uns der
Gunst der Verschiedenen, bevor wir die Witwen beerben oder
fördern Situationen wie solche, bei denen 13-jährige
Mädchen barbrüstig vor dem König tanzen, der
sich seinerseits eines der Mädchen zur Frau auswählt."
(...)
Zuletzt
riskieren wir, wenn wir die Mundart in die Literatur einbringen,
ethnische Gräben aufzutun, heißt es in dem Bericht
weiter. Dies bedeute, sich einige stammeseigene Herausgeber
zu schaffen, vergleichbar den Häuptlingen, die die Interessen
ihres Stammes verfechten. Selbst wenn es in andere Sprachen
übersetzt würde, würden die anderen Stämme
immer bereit sein, einen Wettbewerb der Stämme zu forcieren,
die darauf abzielten, sich selbst als die fähigsten Kulturförderer
durchzusetzen. Man hätte Vergleichbares in der Politik
erlebt, und das Schlimmste, wozu man raten könne, sei,
es in die Literatur einzuführen.
Aus
politischen Gründen befahl der ehemalige Präsident
Moi seinen Informationsministern ein Gesetz zu verfassen,
das Mundart-Rundfunksender für ungesetzlich erklärte
und Monate später, so der Autor, hatte JJ Kamotho dieselbe
Botschaft zu wiederholen, indem er behauptete, dass solche
Sender schädlich für den ethnischen Zusammenhalt
seien. Und Ngugi selbst wurde zum politischen Außenseiter
wegen seines Mundartstücks "Ngaahika Ndeenda" (Ich heirate,
wenn ich will).
Professor
Ngugi mag seine Idee in gutem Glauben präsentiert haben,
aber sie lässt sich nicht umsetzen, schreibt Mwangi Muiruri.
"Würde sie einem Referendum ausgesetzt werden, würde
sie riskieren in toto abgelehnt zu werden".
Was
nach Meinung des Autors funktionieren könnte, wäre
"eine multisektorale Verkörperung kultureller Aussagen
in den Sprachen und Aktivitäten", die von Jugendgemeinschaften
bevorzugt werden, wie Sport, Unterhaltung und bis zu einem
gewissen Grade Religion. "Kulturelle Mundartliteratur sollte
geschrieben werden, ja, aber um damit unsere Archive historischer
Nachschlagewerke aufzufüllen, nicht für den alltäglichen
Lesegebrauch nach Lehrplänen". In jedem Fall ist Kultur,
konstatiert der Autor, in dieser modernen Welt sekundär
im Vergleich zu den bedeutenden Fragen, wie HIV/AIDS, Terrorismus,
Krieg und Armut.
Abschließend
unterbreitet der Autor einen kleinen anekdotischen Dialog
zwischen einem Kikuyu-Mädchen und einem Luo-Jungen, der
die Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Angehörigen
der verschiedenen Ethnien deutlich machen soll. Nach dem Dialog
brechen beide in Gelächter aus, "nicht wegen der Kreativität
der Aussage, sondern aus Spott solche Zeilen in der Mundartliteratur
zu lesen. ·
(Kenya Times, ÜEK:
J.K.)
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