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Rezension: Fruttero & Lucentini - Der rätselhafte Sinn des Lebens

Die Eule der Minerva oder Potemkinsche Dörfer

Der anspruchsvollen Gattungsbezeichnung Ein philosophischer Roman zum Trotz erweckt Der rätselhafte Sinn des Lebens auf eine äußerst sympathische Weise den Eindruck, sich selbst nicht ganz ernst zu nehmen; ein kleines, amüsantes Büchlein scheint es sein zu wollen, nicht mehr. Fruttero & Lucentini, das italienische Autorenpaar hat sich in Jahre währender Zusammenarbeit ideal ergänzt und große Erfolge gefeiert. Das gemeinsame Schaffen hat im vergangenen Monat mit dem Freitod des an Lungenkrebs leidenden, 81jährigen Franco Lucentini ein abruptes Ende gefunden. Beginnend mit dem Jahr 1972 entsann das Duo nicht nur spannende kriminalistische Szenarios, sondern wandte sich auch philosophischen Themen zu, die es mal ernsthaft, mal in parodistischer Weise behandelte. In dieser Tradition steht Der rätselhafte Sinn des Lebens.

Dass dieser philosophische Roman mit Witz und Selbstironie daherkommt, befreit ihn von der - zugegebenermaßen simplifizierenden - Frage nach dem Objekt sowie dem Subjekt der Erkenntnis nicht. Beide Fragen werden von den Autoren bereitwillig, aber unzureichend im nullten Kapitel eingegrenzt, in dem sie von schwierigen Zeiten, von Elend und Gräuel in der Welt lamentieren und ergo sich aufgefordert sehen, der sich aufdrängenden Sinnfrage nachzugehen.

Dann endlich, mit dem ersten Kapitel beginnt die Reise. Standesgemäß im Orientexpress. Hier vermissen die Ich-Erzähler zwar ein wenig das Ambiente vergangener Epochen, werden jedoch durch Begegnungen mit höchst interessanten Subjekten reich entschädigt. Da ist zum Beispiel der anglikanische Pastor, der eingesteht, sich just in einen italienischen Zugschaffner verliebt zu haben, da ist ein britischer Kollege, von dem sich noch herausstellen muss, ob seine Anwesenheit konstruktiver oder doch eher konkurrierender Art ist, und da ist über allem die rätselhafte Schöne, die von den Ich-Erzählern galant umworben wird. Die Reise nach Griechenland gestaltet sich anregender als befürchtet.

Im klassischen Land der Erkenntnis angekommen, werden Fragen beantwortet, neue aufgeworfen: Wohin führen z.B. jene ominösen "Erkenne Dich selbst!"-Hinweisschilder? Wieso erregt ein streunender Hund die Aufmerksamkeit des Ich-Erzählers? Und was verbindet Mia, die Tochter des Pythagoras mit der Eule der Minerva?

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Die Eule der Minerva ...

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Der kollektive Ich-Erzähler verbirgt seine Vorliebe für das gemächliche Tempo nicht. Mit dem ihm typischen unaufgeregten Ton führt er den Leser in eine scheinbar längst vergangene Welt, in die gleichwohl jüngste Attitüden, wie die All-Included-Versorgung auf Reisen, der längst nicht mehr der Mittelklasse vorbehaltene Selbsterkenntnisanspruch oder das allumfassende Konkurrenzdenken Eingang gefunden haben. Der Leichtigkeit, mit der sich der Erzählfluss in alle Ritzen und Spalten des Peloponnes ergießt, tut dies keinen Abbruch.

(Originaltitel: »Il significato dell'esistenza«)

09/2002 © by Janko Kozmus

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