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Rezension: → Doris Lessing - Afrikanische Tragödie

Chronik eines Verrats

Doris Lessings Roman Afrikanische Tragödie

Nach der Lektüre des Romans Afrikanische Tragödie von Doris Lessing fragt sich der Leser, wie es der Autorin gelingen konnte, eine Spannung aufrecht zu erhalten, der sie schon zum Einstieg der Handlung die Spitze nimmt, indem sie verrät, wie die Hauptfigur endet. Das Buch beginnt mit einem fiktiven Zeitungsartikel, in dem es heißt, dass »Mary Turner, die Frau des Farmers Richard Turner ... ermordet aufgefunden« worden sei. Der verhaftete Hausboy habe ein Geständnis abgelegt, das Motiv sei unbekannt, vermutlich habe es der Täter auf Wertsachen abgesehen.

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Schon in der Eingangsperspektive wird die eigentliche Intention der Autorin deutlich. Sie geht auf »die Leute im ganzen Land« ein, die beim Lesen dieser Zeitungsnotiz »flüchtigen Ärger« empfinden, in den sich Genugtuung mischt, weil ihre Stereotypen erneut bestätigt wurden, »Eingeborene stehlen, morden oder vergewaltigen«. Immer wieder kehrt Doris Lessing auf die Sicht der von Vorurteilen geprägten Haltung der Weißen gegenüber den Schwarzen zurück, die auch im Denken ihrer Hauptfigur Mary ihre Bestätigung findet, nachdem sie einmal die vergleichsweise offene Gesinnung der weißen Stadt hinter sich gelassen hat und sich als Ehefrau eines weißen Farmers wiederfindet. Die Autorin beschreibt die Entwicklung einer Person, der es an psychischer Stabilität mangelt und in ihrer Not Zuflucht zu einer Denkweise nimmt, auf die sie in ihrem Lebensumfeld stößt. Die Bedeutung des Romans Afrikanische Tragödie resultiert auch aus der überzeugenden Darstellung der Widersprüche von Stadt und Land im südlichen Afrika. Vor allen auf den abgelegenen, riesige Territorien umfassenden Farmen gedeiht das Klima der Rassenvorurteile in einer aggressiven Verteidigung der weißen Minderheit gegenüber ihren schwarzen Arbeitern.

In ihrer Unfähigkeit, selbstkritisch eigenes Handeln zu hinterfragen, greift Mary auf vorgefertigte Gedankenmuster zurück. Wann immer sie eine neue - unmenschlichere - Stufe in ihrer Haltung der schwarzen Bevölkerung gegenüber erklimmt, findet sie eine Art Präzedenzfall in ihrer Erinnerung, der sie im ideologischen Schulterschluss scheinbar von eigener Verantwortung freispricht. Oft erinnert sie sich dabei an ihren Vater, der einen kaum negativeren Platz in ihrem Denken und Fühlen einnehmen könnte, dessen Einstellung dennoch als willkommene Schablone dient für eine Haltung, für die sie eigene Verantwortung nicht übernehmen kann oder will. Mit Hilfe dieser Legitimation erscheint der Protagonistin ein Unrechtsgedanke im Zusammenhang mit dem eigenen Tun und Denken ebenso absurd, wie die Vorstellung einer Gleichstellung bei einem Schwarzen, der sich freiwillig, oft aber auch unter Zwang bei weißen Farmern in Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, wo die Romanhandlung in den 30er und 40er Jahren spielt, als Arbeiter verdingt. 1950, ein Jahr nachdem Doris Lessing die afrikanische Farm ihrer Kindheit und Jugend verlassen hatte, um sich in Großbritannien niederzulassen, erschien dieser hochgelobte Debütroman.

Unter den Arbeitern der Farm bildet Moses eine Ausnahme. Lediglich in seiner stoischen Haltung ist er mit den Anderen vergleichbar. In allen anderen Belangen unterscheidet sich der auf einer Missionsstation groß gewordene Schwarze. Als Mary ihren erkrankten Mann bei der Aufsicht der Farmarbeit vertritt, sieht sie sich plötzlich einem Schwarzen gegenüber, der ihre Autorität in Frage stellt; seine »lässige Unverschämtheit stachelte sie zu sprachloser Wut auf.« Als sie den Mund öffnet, um ihn anzuschreien, bleibt sie stumm. In einer Mischung von Hilflosigkeit, Empörung und dem zwanghaften Versuch, den eigenen Willen durchzusetzen, greift sie zur Peitsche und schlägt Moses übers Gesicht. Dieser Akt, dessen inneren Spannungsgehalt die Autorin in allen Facetten ausleuchtet, stellt Höhepunkt und Zäsur der Handlung dar. Gleichzeitig repräsentiert er nur eine Ebene dieses vielschichtigen Romans, die äußerlich wahrnehmbare des Handelns, den inneren Antrieb erhält er in der differenzierten Darstellung des Innenlebens der Protagonistin, die die Widersprüche ihres Wesens beharrlich ignoriert und einem absolutem Stillstand zutreibt. Nur selten gelingt es Mary, ihre Passivität zu durchbrechen, bevor sie erneut zu ihrer Hauptbeschäftigung zurückkehrt, der Flucht in das von Tagträumen nahezu befreite Dösen und Schlafen. Mit der unerträglichen Hitze lässt sich dieser Daseinszustand nur teilweise erklären, sein eigentlicher Kern liegt in der fehlenden Motivation, in dem vollständigen Unvermögen der Protagonistin sich in die neue Lebenssituation einzufinden. Schon in diesem ersten Roman gelingt Doris Lessing mit präziser Wortwahl und dem Verzicht auf schnörkeliges Beiwerk eine Beschreibung, die selbst dem Zustand der Stagnation Lebendigkeit verleiht.

Marys brutaler Akt vermag sie ebenso wenig aus ihrer Lethargie zu reißen wie der Versuch, ihrem in der Farmarbeit glücklosen Ehemann neue Wege des Anbaus aufzuzeigen. Sie fällt zurück in ihren vormaligen Zustand, in dessen Bitterkeit und Frustration nur das Ventil der ständigen Gängelung und der Zurschaustellung ihrer Machtposition gegenüber den Hausboys übrig bleibt. Immer schwieriger wird es für ihren Mann, eine neue Haushaltshilfe für sie zu besorgen, da die weggelaufenen Boys die Kunde von der unfähigen und ungerechten »Missus« verbreiten. Eines Tages kündigt ihr Mann eine besondere Hilfe an, ein außerordentlicher Mensch sei der Schwarze, nur dürfe sie ihn nicht wieder vertreiben. Mary erkennt sofort den von ihr misshandelten Mann. Zur Überraschung des Lesers tritt ihr Moses nicht störrisch und stolz gegenüber, sondern erkennt die Schwäche seiner Herrin und greift ihr unter die Arme. Marys psychischer Verfall jedoch hat einen Grad erreicht, dessen Dynamik durch den Versuch solidarischen Verhaltens kaum noch zu bremsen ist.

Doris Lessings präzise, fast strenge Prosa verleiht der Romanhandlung Glaubhaftigkeit und Authentizität und verbindet den Leser in deren Verlauf immer zwingender mit der Unabwendbarkeit des radikalen Endes - ein permanenter Spannungsbogen, um die eingangs aufgeworfene Frage zu beantworten. Doch erst als die Protagonistin selbst jene Unausweichlichkeit erkennt, wird Lessings Sprache nachgiebiger und elastischer, um gleich wieder in die gewohnte Strenge zurückzuschnellen und damit ihre suggestive Kraft zu unterstreichen.

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(Originaltitel: The Grass is Singing)

09/2005 © by Janko Kozmus
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