DIE MARABOUT-SEITE
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Chronik (1901-2019)

Zur Sozial- und Literaturgeschichte Afrikas * von innen und außen 

Tageschronik: 5. Dezember 2000

 

· Die MARABOUT-SEITE zitiert aus Mosambik · 


"Schock als Journalist in Maputo ermordet wurde"

 AIM, die offizielle Nachrichtenagentur  Mosambiks, meldet, "einer der prominentesten Journalisten des Landes, Carlos Cardoso, wurde am 22. November in Maputo erschossen". Cardoso, Herausgeber des täglich erscheinenden Nachrichtenblattes  Metical sei in seinem Auto überfallen und "von unbekannten Angreifern nahe seines Büros niedergeschossen" worden.
Bis jetzt gebe es noch keine Hinweise zur Identität der Mörder, aber die im Metical gemachten Enthüllungen "haben Cardoso mächtige Feinde eingebracht".

Die mosambikanische Regierung habe die Polizei angewiesen, heißt es in der Meldung weiter, mit Interpol sowie den regionalen Polizeikräften zusammenzuarbeiten, um alle Möglichkeiten der Untersuchung auszuschöpfen.

Als erste Regierungsreaktion auf den Mord habe sich Prämierminister Pascoal Mocumbi gegenüber TVM ("Televisão de Moçambique") "tief geschockt" gezeigt angesichts des Mordes. Er habe Cardoso als "einen Journalisten, der unermüdlich für die Pressefreiheit kämpfte" gepriesen.

Im Abgeordnetenhaus habe der Abgeordnete Luis Videira eine Erklärung für die parlamentarische Gruppe der  Frelimo verlesen, in der gegenüber der Familie und den Journalisten des Landes Beileid bekundet wurde.

Sergio Vieira, der Landwirtschaftsminister und danach Sicherheitsminister in Samora Machels Regierung, heute als führende Stimme des linken Flügels der Frelimo angesehen, habe Carlos Cardoso als "eine der nobelsten Stimmen des Journalismus von Mosambik, von unvergleichbarer Qualität" bezeichnet.

Vieira habe an Cardosos Anprangerung der von der Weltbank diktierten Zerstörung der Cashew-verarbeitenden Industrie erinnert. "Er beschrieb das Elend der Arbeitslosen, die in der Cashew-Industrie und anderen Sektoren durch den Despotismus der Bretton Woods-Institutionen und der Arroganz ihrer Agenda auf die Straße geworfen worden waren. In der durch Samora symbolisierten Frelimo fand er den Rahmen seines Ideals, und er griff häufig die Frelimo an, weil sie seiner Ansicht nach von diesen Werten abwich", habe Vieira hinzugefügt.

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"Kränze am Tatort"

"Am 29. November versammelten sich Hunderte von Menschen", heißt es in dem detaillierten Bericht weiter, "um Kränze am Tatort an der Avenida Martires im Vorort Polana zu hinterlegen". Cardosos Witwe, Nina Berg, ihre beiden Kinder, Ibo und Milena, die Angestellten von Metical und viele Freunde und Gleichgesinnte seien die kurze Strecke vom Metical-Büro zu der Stelle marschiert, wo der Wagen überfallen worden sei und wo die Bewaffneten Cardoso aus kürzester Entfernung niedergeschossen hätten. "Einer nach dem anderen legte Kränze und Blumen nieder. An der rückseitigen Wand hingen Transparente wie ›Nieder mit dem Gangstertum!‹ und ›Wir lassen uns nicht einschüchtern - lasst uns vorwärts gehen!‹"...

Neben Graca Machel, der Witwe des ersten Präsidenten des Landes, Samora Machel, seien mehrere ehemalige und gegenwärtige Minister anwesend gewesen, u.a. die Finanzministerin Luisa Diogo, "begleitet von ihrem Ehemann, dem prominenten Anwalt Albano Silva, der vor einem Jahr selbst einen Anschlag überlebte" sowie Abdul Carimo, Abgeordnetensprecher des mosambikanischen Parlaments von 1994 bis 1999 und einer derjenigen, die Cardosos Begräbnis organisiert und Poster mit Cardosos Portrait und den Worten "Wir fordern Gerechtigkeit" verteilt habe.

Um 18.40 Uhr, exakt die Zeit, in der Cardoso eine Woche zuvor ermordet worden sei, "während der Regen zart auf die Menge niederfiel, bat der bekannteste Schriftsteller des Landes, Mia Couto, um eine Schweigeminute, bevor sich die Trauernden ruhig zerstreuten".

 

"Präsident erweist Hommage"

Am 24. Nov. habe Präsident Joaquim Chissano Carlos Cardoso eine warmherzige Hommage erwiesen:

"Wir waren es gewohnt, mit Cardoso zu diskutieren. Wir stritten mit ihm, weil er auf relevante Probleme hinwies, die unser aller Aufmerksamkeit bedurften. Er zwang uns alle, nachzudenken. Wir wollen freie Massenmedien", habe Präsident Chissano betont, "und Carlos Cardoso äußerte oft seinen Zweifel, dass wir Erfolg damit hatten, in unserem Land eine freie Presse zu errichten".

Bei der Begräbniszeremonie seien die vier wichtigsten Persönlichkeiten des Landes zugegen gewesen: Präsident Chissano, der Premierminister Pascoal Mocumbi, der Parlamentsvorsitzende Eduardo Mulembue und der Präsident des Obersten Gerichtes Mario Mangaze.

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" Mia Couto fordert Taten der Regierung"

"Sie müssen diejenigen finden und bestrafen, die mordeten und - vor allen Dingen - diejenigen, die den Befehl zum Töten gaben", wird Mia Couto, einer der herausragendsten Schriftsteller des Landes, zitiert. Er habe dies von den "ehrenhaften und patriotischen Menschen in Mosambiks Regierung" verlangt.

Couto sei von Cardosos Familie gebeten worden, in ihrem Namen die Hauptrede zu halten.

"Sie haben nicht nur einen mosambikanischen Journalisten getötet, ein guter Mensch wurde ermordet, ein Mensch, der seine Familie und sein Land liebte, und der für andere kämpfte, die ärmer waren als er", habe Couto begonnen und sich der großen Bewunderung erinnert, die Cardoso für Samora Machel, den ersten Präsidenten des Landes emfpunden habe und an das von beiden geteilte Streben nach einer Utopie, "wir erträumten, unsere eigene Herren zu sein, ohne von der Welt Krümel für unser Überleben erbetteln zu müssen".

"Wir haben nun das Gefühl, dass wir von Wildheit umlauert werden, von der Abwesenheit von Skrupeln derjeniger, die sich selbst bereichern auf Kosten von allem und jeden, von solchen, die Vermögen anhäufen durch Drogenhandel, Diebstahl, Geldwäsche und Waffenhandel. Und sie tun das häufig unter den passiven Blicken von solchen, die die Ordnung gewährleisten und Rohheit bestrafen sollten".

"Was für ein Land wollen wir unseren Kindern überlassen?" habe Mia Couto ausgerufen. "Ein Land, das nicht lebensfähig ist, eine Nation in Frieden, in welcher es von Wert ist, gerecht und ehrenhaft zu sein. Denn wenn wir diese andere Nation haben wollen, dann hat sich etwas zu verändern. Und radikal zu verändern."

Dieser Tod stelle die Regierenden des Landes auf die Probe, wird er weiter zitiert. "Sie sind diejenigen, die mit Taten antworten müssen, die nicht nur dieses Verbrechen untersuchen müssen, sondern auch die anderen, die noch ungestraft geblieben sind. Und sie müssen die Untersuchung in derselben aufrechten Art durchführen, wie Cardoso sein Schreiben recherchierte."

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"Dhlakama beschuldigt Frelimo"

"Der Führer der  Renamo Afonso Dhlakama lastete die Schuld für die Ermordung Präsident Joaquim Chissano und der Frelimo an." Er habe, erläutert der Bericht, den Tod von Cardoso mit den Demonstrationen vom 9. November verknüpft, die von der Renamo organisiert worden seien und die zu Zusammenstößen geführt hätten, bei denen über 40 Menschen gestorben seien. "In meinen Augen wurde Cardoso getötet, weil er nach den Demonstrationen klar sagte, dass er die Frelimo und Chissano verantwortlich für das Massaker bei den Demonstrationen hielt", habe Dhlakama behauptet.

Beim Begräbnis sei die Renamo durch einige amtsälteste Mitglieder ihrer Parlamentsgruppe repräsentiert worden.

 

"Metical verspricht weiterzumachen"

Carlos Cardoso Kollegen von der Tageszeitung Metical versprachen, dass sie nicht verstummen, sondern weitermachen würden.

In einer Extraausgabe der Zeitung vom 23. November hieß es "die Mörder, die ihn hinterhältig überfielen, wollten ihn mundtot machen und indirekt auch alle, die auf denselben Barrikaden der Freiheit, der Anständigkeit, der Ehre und des Dienstes an der Öffentlichkeit kämpften. Aber sie werden dieses Ziel nicht erreichen".

"Sie haben einen ehrenhaften und couragierten Menschen, aber nicht Metical verstummen lassen und nicht all die anderen Stimmen einer Gesellschaft, die ein anständiges Land will, in dem Menschen in Frieden und Wohlstand leben möchten."

Zum Abschluss der Berichterstattung um den Tod des Journalisten Carlos Cardoso, steht die Meldung von einem zweiten Überfall in derselben Nacht:

 

"Journalist von ›Radio Mozambique‹ attackiert"

In derselben Nacht, in der Carlos Cardoso ermordet wurde, sei ein zweiter Journalist, Custodio Rafael von ›Radio Mozambique‹, von unbekannten Angreifern attackiert worden. Laut hier zitierter Radiomeldung griffen drei Männer Rafael an, als er nach Hause ging. Er habe sich daran erinnert, von drei Männern umringt worden zu sein, einer habe erklärt: "Du redest zu viel!".

Er sei auf den Kopf geschlagen worden, zu Boden gefallen und habe das Bewusstsein verloren. "Er erinnert sich an nichts sonst, aber es scheint, als hätten die Angreifer versucht, ihn zu verstümmeln und vielleicht gar seine Zunge herauszuschneiden." · (AIM, Mosambik, , ÜEK: J.K.)

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Quelle:
Agência de Informação de Moçambique, portugisisch u. englischsprachige offizielle Nachrichtenagentur (AIM, Mosambik)

Anmerkungen:
* inkl. arabischer Raum
Der Metical ist auch die Landeswährung der Republik Mosambik. Er ist unterteilt in 100 Centavos.
ÜEK: J.K. --> Aus dem Englischen übersetzt und kommentiert: Janko Kozmus ©


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