"It's a blackboard
bungle" [1]
Schritte
des Bildungsministerium gegen bestimmte literarische Werke
in Südafrikas Provinz Gauteng provozieren einen Aufschrei.
In einem Artikel in der Sunday Times fragt der südafrikanische
Autor und Journalist →
Mike Nicol, wie weit
diese Entwicklung noch von einem allgemeinen Bücherverbot
entfernt sei.
"Als
ich zunächst davon las, dass Gautengs Lehrer einige Bücher
von den Leselisten der Schulen gestrichen hätten, lachte
ich. ... Als aber die Medien begannen diese Geschichte breit
zu treten, hörte ich zu lachen auf." Mike Nicol berichtet
in ironischer Weise von dem Beispiel der Kritik eines Kunstwerks,
das "nicht afrikanisch genug" sei.
"Wenn
Staatsdiener beginnen sich in Literatur und Kunst einzumischen,
betreten wir gefährlichen Grund, wie unsere Geschichte
eindringlich zeigt.", so der Autor. Mike Nicol weist darauf
hin, dass das alte Zensurgesetz nach der Wahl von 1994 durch
ein geschütztes Recht auf Meinungsfreiheit ersetzt worden
und bis heute nur ein Zusatzartikel hinzugefügt worden
sei, der es der Regierung erlaubt, Beschwerde zu führen
oder eine Klage einzureichen gegen Inhalte, die sie für
anstößig hält.
Jahrzehnte
hat die Regierung der
→
National
Party diktiert, was "unerwünscht" und "nicht unerwünscht"
sei und niemand wünscht eine Rückkehr zu solchen
Tagen. "Doch dies ist der Geist, den Lehrer und Yengeni gerufen
haben ..."
Was
am meisten Sorge bereitet in der Erklärung der Staatsprüfer,
ist ihre Behauptung, →
Nadine Gordimers
Roman "July's People" sei "zutiefst rassistisch, überlegen
und herablassend". Nicol sagt, er wisse nicht, was sie mit
"überlegen (superior)" meinten, aber zu sagen das Buch
sei "rassistisch" oder "gönnerhaft herablassend" ist
eine absichtliche Missdeutung des Buches. "Hier werde ich
an eine andere absichtliche Missdeutung eines kürzlich
erschienen Romans erinnert, und in diesem Fall waren die Interpreten
→
ANC-Funktionäre
und der Roman war
→
J.
M. Coetzees
→
Schande."
In
ihrer Eingabe zu den Anhörungen der Menschenrechtskommission
zu Rassismus in den Medien zitierten die ANC-Kompilatoren
eine Diskussion zwischen zwei Figuren des Romans Schande,
Lucy und ihrem Vater David. Diese Unterhaltung geschieht ...
nachdem sie von drei Schwarzen auf ihrer Farm vergewaltigt
worden war, obwohl die ANC-Analytiker zu verstehen geben,
die Szenen seien in sich schlüssig.
"Es
war so persönlich", sagt sie. "Es wurde mit so viel persönlichem
Hass gemacht. Das hat mich mehr erstaunt als alles andere.
Der Rest war wie erwartet. Aber warum hassten sie mich so?
Ich hatte sie nie vorher gesehen."
"Die
Geschichte sprach durch sie," sagt er schließlich. "Eine
Geschichte des Falschen. Denk dir das so, es hilft. Es mag
persönlich ausgesehen haben, aber das war es nicht. Es
wurde von den Ahnen überliefert."
Um
mit dem umzugehen, was ihr passiert war, tat Lucy zweierlei
Sachen: als sie bemerkte, dass sie von den Vergewaltigern
geschwängert worden war, behielt sie das Kind; und sie
ging einen Bund mit einem der schwarzen Farmarbeiter ein,
um die Landfrage zu klären.
Lucy
wird mit den Worten zitiert: "Ja, ich finde, es ist erniedrigend.
Aber vielleicht ist es ein guter Punkt von vorne zu beginnen.
Vielleicht ist es das, was ich zu akzeptieren lernen muss.
Vom Punkt Null zu starten. Mit nichts. Keine Karten, keine
Waffen, kein Eigentum, keine Rechte, keine Würde.
"Wenn
das nicht für einen pragmatischen, wenn auch sentimentalen,
Versöhnungsversuch spricht, was dann?!", sagt Mike Nicol.
Aber
die ANC-Eingabe interpretiert diese Szenen irgendwie anders:
"In dem Roman präsentiert J. M. Coetzee so brutal wie
möglich die Wahrnehmung der Post-Apartheid-Schwarzen
durch die Weißen... es wird unterstellt, dass unsere
weißen Landsleute unter diesen Umständen besser
emigrieren sollten, weil im Post-Apartheid-→Südafrika
zu
sein, heiße in 'deren Territorium', was bedeutete dass
die Weißen ihre Karten verlieren würden, ihre Waffen,
ihr Eigentum, ihre Rechte, ihre Würde. Die weißen
Frauen würden mit den barbarischen schwarzen Männern
schlafen müssen."
Die
Sunday Times zitiert weiter: "Demzufolge ist die angebliche
Abwanderung von weißen Wissenschaftlern wie verlautet
ganz in Ordnung und erhält auch noch die nötige
Hervorhebung. J. M. Coetzee vermittelt, dass fünf Jahre
nach unserer Befreiung das Denken der weißen Gesellschaft
Südafrikas weiterhin von eigentümlichen Klischees
über die Afrikaner geprägt ist ..."
Die
entscheidende Frage ist die Manipulation von Literatur und
Kunst für politische Ziele, sagt Mike Nicol und fragt:
"Wenn die Zensur ihre Nase in die Schulen steckt, kann dann
ein allgemeines Bücherverbot noch weit entfernt sein?"
Bestenfalls könnten wir, schließt er seinen Artikel,
von unzusammenhängenden eigensinnigen Kommentaren sprechen,
"aber davon bin ich nicht überzeugt". (SundayTimes
SA, ÜEK:
J.K.)
Anmerkungen:
*
inkl. arabischer Raum
1) Der genaue
Sinn des Ausdrucks "blackboard bungle" im Titel erschliesst
sich in der wörtlichen Übersetzung "(Schul)TafelPfuscherei
/ Stümperei / pfuschen" nicht. Nachdem weder "native
speaker" noch Idiom-Listen Aufklärung gebracht haben,
bitte ich die Besucher um Mitarbeit: Wer kann das Sprachrätsel
lösen, ist hier ein neues Idiom im Entstehen? Informationen
darüber bitte an redaktion@marabout.de
[J.K.]
ÜEK: J.K. --> Aus dem Englischen
Übersetzt und kommentiert: Janko Kozmus ©
Quelle:
Sunday
Times, South Africa (SundayTimes SA)
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