Das Tal der Vermissten
Der
Schatten des Marabouts
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Der Prototyp und Klassiker des historischen ägypti- schen Romans.
Stimmig auf allen Ebenen, atmos- phärisch dicht und in der Behandlung
von macht- und sozialpolitischen Fragen auch im höchsten Grade
politisch präsentiert sich dieses im 19. Jh. geschriebene, im
Alten Ägypten handelnde Buch des Polen Boleslaw Prus. Von der
ersten bis zur letzten Seite Spannung pur im virtuos entfalteten
"Spiel" der Intrigen um die absolute Macht.
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Ich
war nie in Esna.
s
mag viele Gründe geben, ein Land wie Ägypten
zu besuchen. Meine Reisen hatten
mit der kulturhistorischen Bedeutung des Landes zunächst
wenig zu tun. Eines Tages erwachte allerdings auch in mir das
Interesse für das Alte Ägypten und mündete in einer
Begeisterung, die nahezu jeden Tempel einschloss. Doch derer sind
viele im Land der Pharaonen, und einige Kultstätten blieben
über Jahre von mir unentdeckt. Etappenweise gelang es mir
jedoch, die meisten aufzuspüren. Bei der vorletzten Reise
bemerkte ich: Wieder war mir ein ganz bestimmter Ort samt Tempel
entgangen. Nicht, dass Beschreibungen beide besonders hervorgehoben
hätten. Die Tatsache alleine, weder Tempel noch Ort besichtigt
zu haben, schien zu genügen, ihnen einige Bedeutung zuzuschreiben.
Ich entschied, beim nächsten Aufenthalt würde der Ort
mit dem Klang eines Mädchennamens - ESNA - meiner Aufmerksamkeit
nicht entgehen.
Das neue Millennium war gerade ein paar Tage alt, da trat ich
tatsächlich nach einigen Jahren erneut eine Reise nach Ägypten
an. Esna hatte ich inzwischen vergessen. Oder doch fast vergessen.
Beim Planen kommender Tagesrouten mit meiner Reisebegleiterin
schon im Lande stieß ich wieder auf diesen Namen. Meine Begleiterin
hatte dieses Land nie vorher besucht, verständlicherweise
war sie daran interessiert, neben Land und Leuten erst einmal
die absolut großen Sehenswürdigkeiten kennen zu lernen. Selbstredend
gehörte Esna nicht dazu. Da ich länger als meine Begleiterin
im Lande bleiben wollte, sah ich in dieser Tatsache kein Hindernis;
ich würde Esna mit dem Tempel des Gottes Chnum eben alleine
aufsuchen.
Quasi als Basislager wählte ich die Ortschaft Luxor. Der
Tempel von Karnak, das Tal der Könige und anderes Pflichtprogramm
war mit Lustgewinn abgehakt, ich peilte die entfernteren Tempel
an, wie beispielsweise Abydos. Dringend empfohlene organisierte
Reisen dorthin, entschloss ich mich abzulehnen. Der Name der dem
Tempel Abydos nächst gelegenen Bahnstation, El Baljana, kam
mir vertraut vor. Ich erinnerte mich, ihn erst vor Kurzem gehört
zu haben. Ein Reisender hatte mir erzählt, was sich inzwischen
bestätigt hat:
Jüngst
haben in benachbarten Dörfern dieser Stadt handfeste Auseinandersetzungen
zwischen der moslemischen Majorität und der koptischen Minderheit
stattgefunden. Der Streit war von zwei Marktverkäufern ausgegangen,
eskalierte über die Einbeziehung der Familien zu einer dorfweiten
Fehde und erfasste gar benachbarte Dörfer. Die Zahl der Todesopfer,
die Angaben schwanken zwischen 20 und 25, macht diesen Zwischenfall
zum schwersten seiner Art seit 20 Jahren.
Der
Gedanke, jene von Touristeninformationsstellen wie auch vom Hotelmanager
empfohlene, organisierte Reise mochte mit dieser Tatsache zu tun
haben, drängte sich auf. Dennoch machte ich mich alleine
auf den Weg, mit allerdings etwas gemischten Gefühlen.
Am
Bahnhof in El Baljana verbündete ich mich für die Taxifahrt
zum eigentlichen Zielort mit den beiden einzigen Westreisenden.
Der Fahrer des Taxis, in das wir einstiegen, tat sich schwer mit
der Abfahrt. Auf Anfrage wiederholte er immer nur das eine Wort:
Police! Also doch, jener Zwischenfall schien Folgen nach sich
gezogen zu haben. Gleich darauf wurde unsere Aufmerksamkeit abgelenkt,
eine beeindruckend lange Autoschlange kam auf uns zu: Vorneweg
ein Polizeiwagen, eng besetzt mit Beamten in Uniform, gefolgt
von einigen Taxis, von großen und mehreren kleinen Touristenbussen.
Das Ende bildete erneut ein Polizeifahrzeug. Der Konvoi fuhr an
uns vorüber, eine Lücke zwischen einem Taxi und einem
Bus entstand, in die unser Taxi nach dem Wink eines Polizeioberen
sich routiniert einfädelte.
Am
Ziel wurden wir von Polizeibeamten befragt, wie lange wir die
Stätte zu besichtigen gedächten. Mit meinen neuen Bekannten
einigte ich mich, erstaunt, aber kompromissbereit, auf eine Durchschnittszeit.
Getrennt machten wir uns an die Besichtigung, die ich meinerseits
uneingeschränkt genoss, aber vor meinen Bekannten beendete.
Von
den beaufsichtigenden Polizeibeamten waren wir längst zu
einer unauflösbaren Gruppe geschmiedet worden. Lange nach
verabredeter Zeit, der Touristenkonvoi war inzwischen abgefahren,
kamen meine Bekannten von ihrer Besichtigung zurück. Sofort
näherte sich uns ein Polizist mit der Frage, ob wir nun wieder
zum Bahnhof fahren wollten. Wir versuchten zu erklären, wir
wollten - bestünde die Möglichkeit - vielleicht doch
lieber Dendera aufsuchen, das läge auf der Strecke nach Luxor.
Einen
Bus von hier gab es nicht, ein Taxi wollten wir wegen vollkommen
überhöhter Preisvorstellungen des Fahrers nicht akzeptieren.
Wir stiegen in ein anderes Taxi, neben mich quetschte sich ein
kräftiger Polizeibeamter, nachdem er zu einem Kollegen per
Funk Kontakt aufgenommen hatte. Am Bahnhof wurde uns auf Anfrage
klar gemacht, ein Besuch im Ort El Baljana wäre nicht erwünscht.
Wir verbrachten Stunden mit Herumdrücken in winzigen Schattenflecken.
Ich sah meine Motivation schwinden, mir unter solchen Umständen
noch Dendera anzusehen.
Am
nächsten Morgen war die Mühsal des Vortags vergessen.
Heute würde alles viel einfacher werden: Qena (sprich: Genna),
die Bahnhofsstadt in Denderas Nähe, liegt auf halber Strecke
nach Abydos. Von irgendwelchen Konflikten in Qena oder Dendera
in entfernter oder gar in jüngster Zeit hatte ich nicht gehört.
Planmäßig
kam ich in Qena an. Im Bewusstsein, Dendera läge auf der
anderen Nilseite, machte ich mich zielstrebig auf die Wanderung
in Richtung Westen. Ein weiter, aber lohnender Weg; ich gewann
einen denkbar günstigen Eindruck von Qena. Für den Rückweg
nahm ich mir eine genauere Besichtigung vor. Schließlich gelangte
ich an die - wie üblich von einem Polizeiposten bewachte
- Nilbrücke. Ich verstand den Wink des Polizisten sofort,
mir ein Taxi über die Brücke nehmen zu müssen.
Ein Sammeltaxi fuhr zufällig nicht nur über die Brücke,
sondern auch weiter in Richtung Dendera.
An
einer Kreuzung wurde ich ausgesetzt, ich fühlte mich blendend.
Es war früh, noch schien die Sonne angenehm. Nach wenigen
Metern wurde ich von einem Polizeiposten herzlichst begrüßt
und nach meinem Ziel befragt. Auf meine Antwort hin wies er mir
den Weg, der sehr romantisch an bebauten Feldern vorbeiführte.
Immer wieder begegneten mir mit Grünfutter beladene Eselskarren
von meist lachenden Jugendlichen oder Kindern gesteuert. Zwei
weitere Polizeiposten hatte ich noch zu passieren; einer von beiden
war mit Funk ausgestattet, meine Ankunft wurde angekündigt.
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Am
Ziel wurde ich, bevor ich das Heiligtum betreten durfte, abermals
von einem Polizisten nach der beabsichtigten Besuchsdauer
befragt, was ich höflich, aber widerstrebend beantwortete.
Der
anschließende Aufenthalt glich dem Abgleichen mit Erinnerungen
eines früher stattgehabten Besuchs. |
Die
Besonderheit an diesem Ort, das Tempeldach besteigen zu können
und zu dürfen, wurde mir allerdings vergällt:
Unmengen anderer Besucher wuselten um mich herum. Mit dem Vorsatz,
diese Erinnerung nicht die vom letzten Besuch hier erdrücken
zu lassen, verabschiedete ich mich schnell. Auch die vielen Polizeiposten
suchte ich aus meinem Gedächtnis zu verbannen.
Wieder an den Polizeiposten vorbei erreichte ich nach geraumer
Zeit die Ortschaft Qena, wo ich einige Stunden genoss. Für
den nächsten Tag hatte ich mir, fand ich, eine Ruhepause
verdient, am darauf folgenden würde es aufs Neue losgehen. Im
Süden lagen Edfu und Esna.
Der
Horus-Tempel von Edfu erschlägt einen förmlich
schon durch
die Ausmaße seines Eingangspylons, auch der in Stein
gehauene
Falkengott
beeindruckt. Trotzdem gelang es mir, auch diesen Tempel
in gewohnter Durch- schnittszeit genügend zu bestaunen.
Und da das Städtchen selbst mir weniger spannend erschien,
als das vor zwei Tagen besuchte Qena, wollte ich mich gleich
auf den Rückweg, bzw. auf
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den
Weg nach Esna begeben. Endlich war es soweit.
Noch hatte die Sonne ihren höchsten Stand nicht erreicht,
als ich schon - mit bloß kleinen Orientierungsschwierigkeiten
und einiger Fragerei - den Sammelplatz für die kleinen Busse
entdeckte. Am Ziel wurde ich tatsächlich an ein noch leeres
Büschen verwiesen, das, wenn es sich gefüllt haben würde,
nach Esna aufbrechen sollte. Gerade wollte ich einsteigen, als
ein nicht mehr ganz junger einheimischer Mann auf mich zukam und
mir bedeutete, ich sollte das unterlassen. Unterstrichen wurden
seine Gesten durch einige Male wiederholte englische Worte: special
bus. Ich ahnte Böses, hakte nach, was das bedeute, special
bus? Only egyptians, besagte die Antwort! Da war's, ich sollte
einfach nicht nach Esna kommen.
Wer weiß, vielleicht würden sich, tauchte ich dort
auf, die sieben ägyptischen Plagen über Esna ergießen,
allein mit der Absicht, mich zu treffen. Vermutlich war's besser,
ich blieb dieser Esna vom Leibe. Andererseits wollte ich mich
nicht so leicht geschlagen geben. Dieser Einheimische trat in
Zivil auf - im Übrigen hatte sich mir am heutigen Tag noch
nicht eine Uniform in den Weg gestellt -, und es gab keinen Grund,
seine Autorität zu akzeptieren. Ich versuchte einzusteigen.
Indes hatte auch der Fahrer des Kleinbusses seine Meinung geändert,
fing ebenfalls an, mit dem Zeigefinger einen Tanz aufzuführen,
so dass ich mich schließlich geschlagen geben musste: Esna
ade! Auch die Kleinbusse nach Luxor blieben mir verschlossen:
special busses, zu speziell für einen harmlosen Ägypten-Reisenden.
Selten kam ich mir so auswärts vor.
Den Rest des Tages verbrachte ich wieder einmal mit elend langem
Warten auf den Nachmittagszug und mit Sinnieren über der
Tatsache, ob's nicht doch besser sei, sein Besuchsprogramm der
geübten Organisation heimischer Anbieter zu überlassen;
in den vergangenen Jahren hatte sich doch so einiges in diesem
Lande verändert. Ich dachte an den Terroranschlag von Luxor,
der viele Menschenleben gekostet und mich des Mythos beraubt hat,
den der Name Hatschepsut bis zu diesem Ereignis in mir hervorgerufen
hat, rief mir die Eingangsdetektoren in allen größeren
Hotels des Landes ins Gedächtnis. Das alles hatte es bei
meiner letzten Reise noch nicht gegeben, ebenso wenig wie die
dicht gedrängten Polizeiposten auf den Touristenrouten. Aber
Esna, Esna mit dem Tempel des Chnum hatte es bereits gegeben,
hätte ich es nur damals schon besucht! Es wäre mir zweifelsfrei
ohne nennenswerte Schwierigkeiten gelungen. Es konnte allerdings
auch während dieses Aufenthalts noch gelingen, mir verblieb
eine Zweitagesfrist.
Den ersten Tag nutzte ich, um die Abfuhr in Edfu zu verdauen.
Nur erst wieder zu soliden psychischen Kräften kommen, dann
würde es schon klappen mit Esna. Der letzte Tag musste und
würde mir das ersehnte Stelldichein mit Esna bescheren.
Am nächsten Morgen kam's, wie's kommen musste: Ich verschlief.
Sei's drum! Würde ich wenigstens anständig ausschlafen.
Wahrscheinlich würde ich später noch einen Bus ausfindig
machen, einen ordentlichen, einen großen, einen air-conditioned,
einen, wie den, der nach Abu Simpel fuhr, doch nein, dieser war
westlichen Reisenden nicht zugängig - sie dürfen exklusiv
den Flug zu den nubischen Tempeln genießen -, nein, einen
regulären, einen höchst offiziösen Bus!
Ein solcher Bus existierte tatsächlich, doch der fuhr erst
am frühen Nachmittag los. Wollte ich die Rückreise nicht
mit einem unnötig und unverhältnismäßig teuren
Taxi antreten, sollte ich diesen besser meiden. Keinen Moment
lang konnte ich mir vormachen, dies sei der wahre Grund meiner
Entscheidung, und es dauerte Stunden, bis ich in der Lage war,
sie zu akzeptieren: Ich würde mir einen schönen langen
faulen letzten Tag in Luxor bereiten. Ich würde entlang des
Nils promenieren und die Aussicht genießen. Ich würde
essen gehen, würde Säfte schlürfen und Kaffees,
würde dem Apfelgeschmack des gekühlten Rauchs einer
Schischa, einer Wasserpfeife hinterherschmecken. Kurz, ich würde
Esna nicht hinterhertrauern.
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