Über
den Unterschied von Symbolen
und Zeichen
So
sicher wie die Tatsache, dass viele Dinge ihre Bezeichnungen
einem Irrtum zu verdanken haben, ist die symbolische Bedeutung
des Kosenamens Sputnik oder Sputnik Sweetheart der jungen
Protagonistin im gleichnamigen Roman von Haruki Murakami.
Sumire wird vom Ich-Erzähler in einer Weise beschrieben,
die keinen Zweifel über seine Gefühle zu der Studentin
aufkommen lässt, die davon träumt, eine große
Schriftstellerin zu werden.
Ja,
der junge Mann, Mitte zwanzig, ist verliebt. Eigentlich gleicht
er noch mehr einem Studenten als einem Vertreter seiner Profession.
Von seiner Arbeit als Grundschullehrer erzählt er nicht
viel, überhaupt hält er sich bedeckt. Weniger aus
mangelndem Selbstbewusstsein, als vom alles beherrschenden
Gefühl der Liebe zu Sumire. Sie beschreibt er unpathetisch,
aber in allen Nuancen, mit ihren Schreibversuchen, ihren vielen,
ihr selbst liebenswert bewussten Unzulänglichkeiten.
Er kommt immer wieder auf ihre Naivität zurück,
so auch, wenn er von der Beziehung Sumires zu einer Frau koreanischer
Herkunft spricht. Die Beschäftigung des Ich-Erzählers
mit Miu ist ausschließlich vom Interesse an Sumire getrieben.
Er muss erkennen, dass Sumire in die etwa 15 Jahre ältere
Frau verliebt ist. Von ihr, nicht vom Ich-Erzähler, hat
sie den Spitznamen Sputnik Sweetheart erhalten, und
von ihr wird sie als eine Art Zögling angenommen. Die
Arbeiten, die Miu Sumire überträgt, scheinen mehr
die Absicht zu verfolgen, ihr Lebensart beizubringen, als
einem eigentlichen Zweck zu dienen. Trotz gegenteiliger Versicherungen
von Sumire wird der freundschaftliche Rat des Ich-Erzählers
nun weniger gebraucht. Er erinnert sich daran, Sumire einmal
auf Nachfrage den unterschiedlichen Gebrauch der Begriffe
Symbol und Zeichen erklärt zu haben.
Zum
Leidwesen des Ich-Erzählers geht Sputnik - der Begriff
bedeutet im Russischen Reisebegleiter - mit Miu auf Reisen,
teils beruflich, teils privat motiviert. Und jetzt erhält
der Roman diese neue, phantastische Dimension. Für den
Leser bleibt jedoch der Blickwinkel unverändert. Nach
wie vor ist es der Ich-Erzähler, der den Faden in der
Hand hält, zunächst noch lose geknüpft mit
Briefen aus der Ferne, aus Europa. Für den Erzähler
hat sich jedoch alles verändert, als er begreifen muss,
Sumire hat sich entfernt, ist seiner Welt entrückt. Diese
Entrückung überträgt sich auf den Leser, der
mit staunenden Augen und zunehmend angehaltenem Atem die Geschichte
der beiden Frauen verfolgt. Ausgangspunkt für die weitere
Entwicklung ist Mius Vergangenheit. Die strahlt in die Gegenwart
hinein und ergreift Besitz von ihr und von Sumire. Es ist
Murakamis besondere Kunst, die Transzendenz der Alltagswelt
durch Beschreibung kleinster Verrichtungen nachvollziehbar
zu gestalten. Jetzt greift der Ich-Erzähler auch direkt
ins Geschehen ein. Sein Aufbruch nach Griechenland ist überstürzt,
Miu hat ihn alarmiert. Sie braucht seine Hilfe, sie hat Sumire
verloren.
Erst
mit seiner Rückkehr nach Japan beginnt der Ich-Erzähler
in Wahrheit von sich zu berichten, von seiner Leere, seiner
Sehnsucht nach Sumire. Er beansprucht jetzt für sich
den Raum, den er zuvor seiner Liebe eingeräumt hat. Seine
Sehnsucht nach ihrem Körper ausdrückend ist er in
einem Maße bei sich, wie er das zu Anfang des Romans
nicht vermochte. Schmerzhaft und mit kaum zu übertreffender
Authentizität vermittelt sich dieses Gefühl dem
Leser: Wenn er doch wenigstens ihre Stimme hören könnte!
Als er mitten in der Nacht aufwacht, denkt er daran, früher
gelegentlich von Sumire nachts geweckt worden zu sein. Aus
einer Telefonzelle rief sie ihn an, um ihr Innerstes vor ihm
auszuschütten oder aber Banalitäten von sich zu
geben. Ach, riefe sie doch noch einmal an! Irgendwann steht
er auf, geht zum Fenster, blickt zum Nachthimmel. Der Halbmond,
verschimmelt würde Sumire ihn genannt haben, scheint
auf den Schlaflosen herab. Der Erdtrabant als bloßes
Symbol seiner fortdauernden Liebe zu ihr, fragt sich der Leser,
oder als ein Zeichen ihrer Vereinigung in ihrer oder in seiner,
in unserer Welt?
(Rezension der engl. Übersetzung von THE HARVILL PRESS;
Originaltitel: »Sputoniku
no koibito«)
10/2002
© by Janko Kozmus