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Rezension:
→ J. M. Coetzee
- Leben und Zeit des Michael K.
-
als Soundfile (mp3) - Eine
Löffelschale voller
Zerbrechlichkeit
Der
Protagonist des Romans Leben und Zeit des Michael K. besitzt
kaum einen Willen oder ein Wissen um sich selbst. Er ist genügsam
bis zur Schmerzgrenze, antriebs- wie trieblos; er ist und
bleibt es bis zum Schluss: eine bizarre Gestalt, deren ans
Wunderbare grenzende Zerbrechlichkeit beim Leser wie bei den
meisten ihr begegnenden Romanfiguren Impulse von Mitleid und
Hilfsbereitschaft auslöst. Ein Wesen ohne Vater, ohne
eine sich artikulierende Stimme und ohne Hautfarbe. Über
das Parabolische dieses bereits 1986 ins Deutsche übertragenen
und anlässlich des diesjährigen Gewinns des Literaturnobelpreises
seines Autors J.M. Coetzee neu aufgelegten Romans ist
schon viel geschrieben worden.
Wie
der Protagonist Michael K. droht auch die Heimat seines Autors,
Südafrika,
unter den Widersprüchen
der sich polarisierenden Bevölkerung zu zerreißen.
Noch sitzt Nelson Mandela im Gefängnis und das System
der Apartheid scheint die Zügel fest in den Händen
zu halten. Doch der Widerstand nicht nur der Bewegung des
ANC, sondern breiter Kreise der Bevölkerung verschärft
sich, es herrscht buchstäblich Bürgerkrieg im südlichen
Afrika. Das Chaos weitet sich aus durch die Tatsache, dass
Südafrika und angrenzende Länder wechselseitig ideologisch
gleichgesinnte Widerstandsbewegungen unterstützen.
In
dieser Zerrissenheit sieht der Leser Michael K., dem sogar
sein nicht zufällig an Kafka erinnernder Name genommen
wird, durchs Land ziehen. Zunächst versucht er seine
kranke Mutter an einen Ort zu bringen, von dem eine kaum wahrnehmbare
Anziehung ausgeht, ein Ort, den er vage mit der Kindheit seiner
Mutter verknüpft, aber wie das Wort Hunger zu stark zu
sein scheint für das von Michael K. selten empfundene
Essbedürfnis, so greift auch der Begriff Heimat viel
zu weit. Der Impuls, der K. veranlasst, seine Mutter in ein
selbst gebasteltes Vehikel zu verfrachten, ist so schwach
und zerbrechlich, wie das Gefährt, in dem die Reise beginnt;
ihm fehlt jeglicher Anstrich von lustvoller Offensive, von
Sehnsucht oder Vitalität. Nein, Michael K., Sohn einer
kranken Mutter und arbeitsloser Gärtner, ist nicht auf
dem Weg in die Heimat seiner Mutter, eher schon auf der Suche
nach einer Zufluchtsstätte seiner ureigenen und einzigen
Art, auf der Suche nach einem Garten. Jedoch sind gerade hier,
im Aufbruch dieses skurrilen Paares, dem Nobelpreisträger
Bilder gelungen, deren Originalität sich ins Gedächtnis
einbrennt, gleich jenem ewig lebendigen der Marketenderin
Mutter Courage und ihrer bunten Truppe, die mit ihrem Karren
durch die Wirren eines anderen Krieges zieht.
Die
Suche nach dem Garten scheint das Einzige zu sein, was Michael
K. zu binden imstande ist, was annähernd die Kraft einer
Motivation erreicht. Es müsse doch Männer geben,
denkt Michael K., die nicht in den Krieg ziehen, "die zurückbleiben,
um den Gartenbau am Leben zu erhalten, oder wenigstens die
Idee des Gartenbaus". Ein Gedankengang, den der Leser dem
Protagonisten nicht zugetraut hätte.
Die
Figur des Michael K. ist in ihrer Wurzellosigkeit, in jeglichem
Fehlen von Identität, aber auch in ihrer geistigen Beschränktheit
authentisch gezeichnet, ja, besonders im inneren Monolog offenbart
sich dem Leser überzeugend ihr Wesen. Die Möglichkeit
zu solcher Abstraktion, zur Idee vom Gartenbau geht ihr gänzlich
ab. Eine weitere Textstelle, die als Beleg dient für
den Wunsch des Autors das Gleichnishafte in einer Verallgemeinerung
zu unterstreichen, ist jene, in der Michael sich zufrieden
zeigt von familiärer Pflichterfüllung ausgenommen
zu sein. Ein speziell für diesen tumben Gesellen nachvollziehbares
Gefühl, das allerdings niemals in einer Reflexion kulminieren
darf wie der folgenden: "Ich bin einer von den Glücklichen,
die dem Aufgerufensein entgehen".
Glaubhaft
ist der Roman Leben und Zeit des Michael K. überall
da, wo der Autor seiner Figur in ihrer schier unglaublichen
Unzulänglichkeit, ihrer Fragilität und ihrer Blödheit
treu bleibt. Dieser Anspruch wird über weite Strecken
der Erzählung eingelöst, bis hin zum Ende, wo Michael
K. wiederum eine erstaunliche Kraft zur Vorstellung entwickelt.
Bevor
er jedoch soweit ist, hat er einen langen Weg vor sich, der
ihn zwar auch zum ersehnten Garten führt, die überwiegende
Zeit verbringt er jedoch in Krankenhäusern, Pflege- und
Polizeistationen, in Lagern - das ganze Land scheint aus solchen
Einrichtungen zu bestehen -, deren Vertreter trotz teilweise
bester Absichten seiner Gemütsverfassung hilflos und
fremd gegenüber stehen. Konsequenterweise verliert Michael
in dieser Welt auch seinen Namen, und an neuralgischer Stelle,
in einem Umerziehungslager, wechselt der Autor die Erzählperspektive
und kehrt nach gelungener Flucht in die Perspektive des Protagonisten
zurück.
Das
Ende mutet rührend an mit einer für Michael K. überraschenden
Tagträumerei, die jedoch innerhalb der verquasten Logik
seines beschränkten Denkens bleibt: Wie wäre es,
sagt er sich, wenn er jemanden fände, einen alten Mann
beispielsweise, der ihm hülfe, seine Kürbisse anzubauen,
und wenn der feststellen würde, dass doch die Pumpe im
Garten gesprengt sei, würde er, Michael K. der Gärtner,
den Stil eines Löffels einwärts biegen, diesen an
einer langen Schnur befestigt tief ins Innere der Erde einlassen
und wieder heraufziehen, und es "würde Wasser sein in
der Schale des Löffels".
J.M.
Coetzee: Leben und Zeit des Michael K. Aus dem Engl.
von Wulf Teichmann. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 222 S.,
8,90 Euro.
(Originaltitel:
Life & Times of Michael K.)
Der Roman wurde im Jahre 2002 in die Liste der
100
besten afrikanischen Bücher des 20. Jahrhunderts aufgenommen.
12/2003
© by Janko Kozmus