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Rezension:
→ José Eduardo Agualusa
- Das Lachen des Geckos
Händler der Vergangenheiten "Was glauben Sie, mein lieber Félix, ist wichtiger? Zeugnis abzulegen von der Schönheit oder das Grauen aufzudecken?" Diese Frage wird dem Protoagonisten des Romans Das Lachen des Geckos von einem Kunden gestellt, von einem gewissen José Buchmann. Zumindest ist dies der Name, den ihm Félix Ventura, der Albino, der Genealoge, der Erfinder und Händler von Identitäten, zugedacht hat. Entgegen seiner Praxis und höchst widerstrebend hat er diesem auch die zugehörigen Identitätspapiere beschafft, gegen eine erkleckliche Summe Geldes, versteht sich. Erzählt wird die sonderbare und auf weiten Strecken poetisch strahlende Geschichte des 1960 im angolanischen Huambo geborenen Schriftstellers José Eduardo Agualusa in Briefen, in Träumen, in Beobachtungen. Und der feine, gelegentlich auch sarkastische Geist des Beobachters der Szenerie, die sich ausschließlich im Haus des Identitätenerfinders abspielt, verbirgt sich in der Gestalt eines Geckos. Die Perspektive eines Tieres mag seltsam erscheinen, gar befremden. Erinnert man sich jedoch eines anderen im Mittelpunkt einer Handlung stehenden Tieres, nämlich des Hundes Mbudjak im Roman Hundezeiten des kamerunischen Schriftstellers Patrice Nganang, wird man sogleich von der größten Erwartungshaltung angesteckt und droht jegliche Unvoreingenommenheit zu verlieren. In beiden Büchern wird die tierische Perspektive vom buchstäblichen Standort des Erzählers bestimmt. Während jener geprügelte Mbudjak sich in den untersten Schichten tummelt, meist zwischen den Beinen der Kneipengäste seines Herrn und seine sarkastisch-amüsanten Kommentare vor sich hin bellt, erhebt die Perspektive des Geckos den Leser in die Höhe, in Zimmerhöhe. Noch ein weiterer Unterschied zwischen den Beiden sei angesprochen, bevor wir uns voll und ganz dem Gecko - auch er trägt mit Eulálio einen einprägsamen Namen - und seiner reizvollen und voller Überraschungen steckenden Erzählung widmen. Mudjak, der Kneipenköter, genießt es, Hund und nicht Mensch zu sein, reflektiert voller Stolz sein Sosein, sein Hundsein. Ganz anders verhält es sich mit Eulálio. Seine Identität ist gespalten, da er eine Reinkarnation verkörpert. Während er das Geschehen betrachtet, reflektiert er mit Vorliebe sein voriges Leben, als Mensch. Träumt auch des Öfteren davon. Ansonsten ist sein aufmerksamer Blick sehr aufs Diesseits gerichtet. Neugierig verfolgt Eulálio von einer Wand oder von der Decke aus, meist hinter einem Spalt oder Riss verschanzt, die Vorgänge, kommentiert, beurteilt sie: "In meinem früheren Leben kannte ich auch schon solche Leute. Sie haben Angst vor dem Wind in den Blättern. Fürchten sich vor Kakerlaken, von Polizisten, ganz zu schweigen, vor Anwälten, Zahnärzten." Der da bibbernd vor Angst nächtens in Félix' Haus gestürzt kommt, ist auch einer von seinen Kunden. Im Gegensatz zu den anderen, oft hochgestellten Besuchern, denen es in ihrer glanzvollen Position an einer entsprechenden Vergangenheit mangelte, wünschte sich dieser eine unauffällige, eine Durchschnittsvergangenheit. Nun wird er von José Buchmann verfolgt. Felix ist überrumpelt, genau so wie eine gewisse Ângela Lúcia, die sich ebenfalls im Haus befindet; eine Lichtgestalt, zumindest in den Augen des verliebten Protagonisten. Eulálio weiß zu relativieren: "Wo Licht ist, ist auch Schatten". Weder Félix noch der Leser ahnen zu diesem Zeitpunkt etwas von einem Schnittpunkt, der in der Vergangenheit dieser Personen liegt. Die
eingangs gestellte Frage, wem der Vorrang gebühre, dem Zeugnis
der Schönheit oder der Aufdeckung des Grauens, beantwortet die
Romanfigur Félix nicht. Auch der Schriftsteller Agualusa tut
dies nicht explizit, aber dieses Buch, Das Lachen des Geckos,
das voller Poesie steckt, voller Licht, erfüllt von der Wendigkeit
des Erzählers, von Félix' Leidenschaft für alte Wörter,
von sprachlicher Schönheit, diese Geschichte tut es. In ihr, im
Arrangement aus vielen kleinen Geschichten, deren zunächst unerkannter
Kern die Beschreibung einer grauenhaften Tortur darstellt, liegt die
Antwort. Beiläufig fast entwickelt José Eduardo Agualusa
seine Geschichte. Während er von Félix' Verliebtheit, von
dessen Vergangenheit erzählt, von Buchmanns Besessenheit, mit der
er den Spuren seiner fiktiven Wurzeln folgt, von der Durchdringung von
Traum und Wirklichkeit, von vergangenen Leben, die in die Gegenwart
hinein wirken, werden die scheinbar losen und jeglicher Geschichtlichkeit
enthobenen Stränge zu einem feinen Netz gesponnen. In diesem muss
der Täter sich schließlich verfangen, Opfer geworden seiner persönlichen
Geschichte, die die Geschichte Angolas
ist, die Geschichte vom missbrauchten
Land im Stellvertreterkrieg der Ost-West-Mächte, vom Einparteien-Staat
und vom Versuch der Befreiung von den Einschränkungen, den Widersprüchen
dieser Hinterlassenschaft.
10/2008 © by Janko Kozmus Siehe auch die → Rezension zum Roman Die Frauen meines Vaters desselben Autors im britischen Independent, in dt. Übersetzung in der Afrika-Chronik |
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