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Rezension:
→ Patrice
Nganang - Hundezeiten
»Kamerun ist eben Kamerun!« Mit Hundezeiten legt der Peter Hammer Verlag den ersten ins Deutsche übertragenen Roman des 1970 in Yaoundé geborenen kamerunischen Schriftstellers und Literaturtheoretikers Patrice Nganang vor. Der Autor verlegt die Handlung des Romans in eine höchst unruhige Zeit des Landes. Und mit Mbudjak, einem Hund, als Ich-Erzähler präsentiert er zudem eine überaus interessante Perspektive, die so manchen ungewohnten Blick von unten gewährt. Nachdem Mbudjak sich eingeführt hat, kommt er auf die Menschen zu sprechen: »Im April 1989 wurde Massa Yo gefeuert«. Wie Mbudjaks Herrn ergeht es vielen in dieser Zeit der ökonomischen Krise, die begleitet wird von massiven politischen Auseinandersetzungen. Im Jahr 1990 erlässt der Präsident Paul Biya eine Generalamnestie. In deren Folge kehrt einer der großen Schriftsteller des Landes, Mongo Beti, und mit ihm viele andere politische Emigranten, in die Heimat zurück. Wie Beti schreibt auch Patrice Nganang in französischer Sprache. Die Opposition im Lande ringt dem allein herrschenden Präsidenten 1991 eine weitere Konzession ab. Paul Biya sieht sich gezwungen, das Mehrparteiensystem einzuführen, aber seine Verweigerung des Dialogs mit Vertretern der entstehenden Parteien führt zu weiterem zivilen Ungehorsam in Kamerun, der in Generalstreiks mündet und das Land lahm legt. Man spricht von Geisterstädte-Kampagnen, les opération villes mortes. Höchst lebendig präsentiert sich Yaoundés Stadtteil Madagascar, »nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Land, das der Dichter Jacques Rabemananjara besingt«. In diesem Armenviertel der Hauptstadt lebt Mbudjaks Herr Massa Yo. Nachdem er gefeuert worden ist, eröffnet er eine Kneipe mit dem harmlos einladenden Namen Kunde König, in der sein verlängerter Arm Mbudjak, wörtlich, die suchende Hand, sich tummelt. Er streicht unauffällig zwischen den Beinen der illuster wirkenden Gesellschaft der Besucher umher. Und bellt seine meist unbeachteten Kommentare zum Vergnügen des Lesers in die rauchgeschwängerte Luft. Der Hund als Erzähler räsoniert zunächst über sein Sosein, sein Hundsein, äußert Genugtuung über die Tatsache, eben Hund zu sein und nicht Mensch, denn obwohl sein Hundsein an Eindeutigkeit verloren habe, da er die Menschen immer nur beobachte und nicht eingreife, »als ein Mensch angesehen zu werden, wird aber trotzdem immer die schlimmste Beleidigung bleiben, die man mir gegenüber äußern kann«. Diese Einsicht mag wesentlich der schlechten Behandlung entsprungen sein, die er nach dessen Arbeitslosigkeit durch seinen Herrn und vor allen Dingen durch dessen Sohn Sumi erfahren hat. Mbudjak
entzieht sich dem, indem er, der Haushund, erstmalig die Klassengrenzen
überschreitet. Er gewinnt die Freiheit eines Straßenköters,
tauscht dafür aber materielle Not ein. Das nackte Überleben
in urbaner freier Wildbahn gestaltet sich sehr schwierig. Und von der
beschworenen Solidarität der Straßenhunde ist nichts zu spüren.
So hat beispielsweise das Elend eines dreifüßigen Hundes
diesem seinen eindeutigen Stempel aufgedrückt, er apostrophiert
»Ich bin ein Kommunist«, bleibt aber in seiner Kümmernis
allein gelassen. Mbudjak flieht vor soviel Unbill in die Gemütlichkeit
der Kneipe seines Herren, wo er den Geschichten von Panther, einem kleinen,
aufgeregt und phantasievoll plappernden Männchen, von Docta, dem
Ingenieur und vielen anderen lauscht, die sich gegenseitig zu übertreffen
suchen in ihren Fantastereien. Gerüchte werden in die Welt gesetzt,
bezweifelt, gleichzeitig ausgeschmückt und aufgeblasen und kulminieren
in der zum Schimpfwort degenerierten Feststellung, die allein reicht,
den sie Äußernden als Oppositionellen anzuklagen: »Kamerun
ist eben Kamerun!«. Und eines Tages taucht der Mann in Schwarz auf, von dem nicht nur für Mbudjak eine unwiderstehliche Aura ausgeht. Als Schriftsteller entpuppt sich der Rabe, wie dieser Mann auch - und prophetisch, denn Raben sind mindestens Unglücksboten, wenn nicht gar Unheilsbringer, wie auch der hündische Erzähler weiß - genannt wird. Er gesteht den neugierigen Gästen, er habe ein Buch geschrieben mit dem Titel Hundezeiten, und in diesem habe er versucht, »die Geschichte des alltäglichen Lebens zu erfassen und den Gang der Geschichte in die Hände ihrer wirklichen Helden zurückzulegen..., dass er in seinem Buch über Menschen, wie euch, wie ihr da alle um mich herum versammelt seid geschrieben habe«. Das Auftauchen dieses vom Ich-Erzähler sogleich umwedelten und geliebten Gastes markiert die Wende. Es bedarf nicht der Klugheit eines Mbudjaks, um zu erahnen, dass ein Beobachter wie dieser in den seltensten Fällen nur Beobachter bleiben kann oder will, und der Leser ahnt auch dieses schon und der Kommissar des Viertels, der, misstrauisch beäugt, auf dem Weg zu seiner auch von einem Stammgast begehrten Geliebten die Kneipe immer nur streift, spricht es aus: ein Oppositioneller. Hierin
liegt die Kunst des Autors: Aus vagen Andeutungen, aus den Nebeln des
Gerüchts, aus dem kaum fassbaren Geschwafel der kleinen Menschen
eines Armenviertels lässt er ein vielschichtiges Bild ihrer Wünsche,
ihrer Sorgen entstehen, ein Mosaik ihrer Nöte, eine Gesamtheit
ihrer Unzufriedenheiten, die zur Entladung drängt. Ein, in jedem
Sinne, stimmiges Abbild der Gesellschaft, das Patrice Nganang in einfacher,
jedoch niemals simplifizierender Sprache entwirft. Er tut dies, indem
er die lose gesponnenen Fäden behutsam zusammenführt und an
völlig unerwarteter Stelle verknotet. Ein spielender Knabe in der
Nähe der Kneipe oder ein gelangweilter Zigarettenverkäufer
unmittelbar davor, eine vorübereilende Stadtteilschöne und
-reiche, nichts scheint zufällig. Schon gar nicht ein Kneipenbesitzer,
der Massa Yo heißt und beschließt, hinter dem Tresen eine
Liege aufzubauen und die Nächte, fern von Gattin und Kind, im Kunde
König zu verbringen. Die französische Originalausgabe des Romans Hundezeiten erschien im Jahre 2001, dem Todesjahr Mongo Betis. Ein Zufall, nichts weiter. Der Verweis des Autors auf den madagassischen Dichter Jacques Rabemananjara, der seinem Altersgenossen Léopold Senghor in der Verfechtung der Négritude programmatisch nahe stand, birgt jedoch möglicherweise den Anspruch in sich, die Tradition großer afrikanischer Literatur fortzuschreiben. Mit Hundezeiten ist dies Patrice Nganang in vollendeter Weise gelungen. (Originaltitel: Temps de chien) 12/2003 © by Janko Kozmus |
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