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Gefängnis der Imagination
Erster
Teil der historischen Kamerun-Trilogie von Patrice Nganang
In
einem Interview* anlässlich des Erscheinens von
Mont Plaisant, der französischen Fassung des Romans Der
Schatten des Sultans bemerkt der kamerunische Schriftsteller Patrice
Nganang, das größte Gefängnis, dem sich der (frankophone) afrikanische
Schriftsteller ausgesetzt sehe, sei die französische Sprache selbst
und meint die Erwartungshaltungen an diesen und die Implikationen, die
den freien Blick auf die eigene Geschichte verhinderten.
Sultan Njoya, seines Zeichens Herrscher des Sultanats Bamoun, residiert
zunächst, wie schon sein Vater und dessen Vorgänger bis zurück ins 14.
Jahrhundert, in Foumban, dem städtischen Zentrum des Sultanats. Von
hier aus unternimmt Njoya erfolgreiche Anstrengungen, um seinem Einflussbereich,
wenn schon nicht Wohlstand, so doch Wohlergehen angedeihen zu lassen.
Unter seiner Leitung wird eine Schrift kreiert, die neben der deutschen
Sprache an den Schulen gelehrt wird. Viele seiner Neuerungen sind Nachahmungen
deutscher Vorbilder. So lockert er rückständige Gesetze; von nun an
ist es beispielsweise Adligen erlaubt, Nichtadlige und selbst Sklaven
zu ehelichen. Die Künstlerkolonie, die er unterhält, wird sich insbesondere
im Bereich der Architektur und der Bildhauerei einige Lorbeeren verdienen.
Aus diesem Umfeld rekrutiert Nganang die tragenden Rollen seines Romans:
Neben Nji Mama, dem Obersten Architekten des Sultanats und seinem Bruder
Ibrahim stehen Montlipèr – dessen Name in der von Njoya kreierten Shümom-Sprache,
einfach und erhaben zugleich, Lehrer bedeutet – und Nebu, den er in
seine Werkstatt als Lehrling aufnimmt und der mit seinen Objekten, wie
dem Löwen, der zweiköpfigen Schlange große Anerkennung findet und selbst
den Meister übertrifft, wie dieser eingesteht.
Später, im Exil, wird Sultan Njoya, trotz seiner anhaltenden Begeisterung
für deren Kultur, seine allzu schnelle Bereitschaft, den deutschen Kolonisatoren
nichts entgegenzusetzen, bereuen und psychisch darunter leiden, bis
hin zum Kollaps. Die Reue gilt in einem noch höheren Maße für die weitaus
repressiver auftretenden Franzosen, von denen er schließlich aus seinem
Reich verbannt wird. Die Wahl des Exilortes wird maßgeblich von seinem
Freund Atangana, dem Ewondo-Chef, beeinflusst. Njoyas neue Residenz
in Yaoundé heißt Mont Plaisant.
Soweit der Hintergrund von zweien der drei Abschnitte des Romans Der
Schatten des Sultans; der erste umfasst die Zeit von Foumban, um
die Jahrhundertwende bis in den Anfang der 1920er Jahre, der zweite
die Zeit des Exils in Mont Plaisant, der 1933 mit dem Tod des Sultans
endet. Die dritte Zeitebene liefert mit der Gegenwart eine Klammer für
die historischen Abschnitte.
Zu Anfang des 21. Jahrhunderts begibt sich die junge, aus Kamerun stammende
us-amerikanische Historikerin Bertha zu Recherchezwecken in ihre Heimat
und wird bei einem wiederholten Besuch mit der sog. Doyenne des Viertels
Nsimeyong in Yaoundé bekannt gemacht. Diese alte Frau, mit Namen Sara,
die siebzig Jahre lang als stumm galt, bricht ihr Schweigen, als sie
– so die Vermutung – den Namen der Historikerin vernimmt. Denn so, Bertha,
hieß auch ihre Ziehmutter in Mont Plaisant, dem Exilpalast von Sultan
Njoya, dem sie als Neunjährige von Atangana zum Geschenk gemacht wurde.
Diese Bertha, verantwortlich für die Erziehung der jüngsten "Frauen"
im Harem, verzögert den Eintritt in den Sultansharem, indem sie Sara
wie einen Jungen kleidet und mit dem Namen Nebu ruft. In Rückblenden
wird die Geschichte jenes Nebu' entfaltet, der Bertha über seinen Tod
hinaus nicht loslässt, des zu Ruhme gekommenen Bildhauers, ihres Sohnes.
Nebus persönliche Geschichte spiegelt die seiner Umgebung wider, insbesondere
die seiner Familie, die in tragischer Weise in sein erstes amouröses
Abenteuer verstrickt ist sowie die der Künstlerkolonie, die nicht von
der kolonisatorischen Abhängigkeit zu trennen ist. Hier wird noch am
ehesten eine westliche Neugierde nach kolonialem Kolorit und authentischem
afrikanischem Leben befriedigt. Letzteres blitzt in gelegentlichem jugendlichen
Aufbegehren auf. Es sind die Schreinerlehrlinge und die der Bildhauerei,
die dem einfachen Treiben noch Lustvolles abgewinnen auf ihrem Weg in
die privilegierte Schicht, die der Autor in diesem Buch in erster Linie
beschreibt. Eine der beeindruckendsten Stellen dieses Romans ist jenes
Kapitel, das wie alle anderen mit einer Überschrift versehen ist: Das
Manifest des Mose Yeyap. Es erzählt die Geschichte eines Emporkömmlings,
der im Kampf um die Führung der Künstlergemeinschaft mit Schläue und
zynischem Opportunismus die Machtansprüche der Kolonialmacht für seine
eigenen Interessen auszunützen weiß. Innerhalb dieser Epoche eine Schlüsselstelle.
Viele Jahre später, im Exil in Mont Plaisant, wird ein anderes Ereignis
die zentrale Rolle einnehmen: der nächtliche Zusammenbruch des Sultans.
Und obwohl sein für niedere Dienste zuständiger Schatten Nebu dem Herrscher
nur tagsüber nicht von der Seite weicht, ist er, als die – von den gespenstisch
anmutenden Rufen des Sultans ausgelöste – Unruhe im Palast um sich greift,
als einer der ersten zur Stelle und reagiert besonnen. In Windeseile
holt er den heilkundigen Pater Vogt zu Hilfe. Der rettet mit Sofortmaßnahmen
das Leben des Sultans. Von einem Wunder wird zukünftig die Rede sein,
was dem Pater die "Jagd auf Heiden" erleichtern wird. Bereits seine
zweite Großtat zum Wohle des Herrschers, die vorangegangene glich –
obschon ein ernster Hintergrund vorlag – einer Anekdote, amüsant und
anregend wie ein selbstgebastelter Rollstuhl, wie überhaupt der Stil
des Autors von der Leichtigkeit und Souveränität des Ausdrucks getragen
wird. Gleichzeitig scheut Nganang nicht davor zurück, bei Bedarf.die
Dinge beim Namen zu nennen, insbesondere wenn diese im Spiel oder im
Kampf der Geschlechter leidenschaftlichen Anstrich erfahren. Darüber
hinaus strotzt das mit ca. 500 Seiten pralle Werk vor sonderbaren Geschichten.
Erwähnt sei hier noch jene des Joseph Ngono, des Vaters von Sara, weil
der schon vor dem ersten Weltkrieg im fernen Berlin als Übersetzer wissenschaftlich
tätig war und diverse Abenteuer in der Hauptstadt erlebte. Und an Absurdität
kaum zu übertreffen ist des Schreinermeisters Nji Shua Entscheidung,
sich kreuzigen zu lassen, wozu hat man schließlich Lehrlinge?, weil
Pater Vogt in seiner Erzählung – im Versuch die Kreuzigungsgeschichte
den einfachen Menschen näher zu bringen – Namen aus deren vertrauten
Umfeld einsetzt und dabei Jesu' Namen durch den des Schreinermeisters
ersetzt. Schließlich wäre dies auch nur ein weitere bemerkenswerte Abkürzung
zum Paradies.
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ZEIT
DER PFLAUMEN
Zweiter Teil der
historischen
Kamerun-Trilogie |
Die
Erzählkontinuität wird von Bertha immer wieder unterbrochen. Inwieweit
ist Saras Erzählungen zu vertrauen? Schließlich weiß sie als Historikerin
um die Wackligkeit des Wahrheitsgehalts von mündlich überlieferten Zeugnissen.
Und wie Sara/Nebu der Schatten des Sultans ist, hält Bertha, die amerikanische
Bertha, als Schatten, weniger poetisch ausgedrückt: als Sprachrohr des
Autors her. Sie ist diejenige, die ihre Recherchen und die Erzählungen
der Anderen, mit anderen Worten die schriftlich fixierte und die orale
Geschichte aufnimmt, filtert und dem Leser weiter vermittelt und so
ganz nebenbei das fragwürdige Postulat der objektiven Geschichtsschreibung
als Mär ad absurdum führt. Was die Recherchen des Autors, der keinen
Hehl aus seiner Begeisterung für die Geschichte Kameruns macht, selbst
angeht, so vertraut er dem Leser im Nachwort ein weiteres Problem an,
das im Zusammenhang mit den geborgenen Fundstücken steht: "Um mit dieser
Welt der Piktogramme, Phoneme, Wörter, Buchstaben und Bücher ins Gespräch
zu kommen, um die lewa- und akauku-Alphabete wieder zum Leben zu erwecken,
musste ich das Schicksal vieler Personen und Daten entsprechend den
Erfordernissen der fiktionalen Wahrheit ändern."
Um
das eingangs erwähnte frankophone Sprachgefängnis aufzunehmen, stellt
sich zuletzt die Frage: Hat es Patrice Nganang geschafft, seine Imagination
aus diesem zu befreien? Das Vorhandensein einer Vielzahl von teilweise
aberwitzigen Geschichten spricht dafür. Ihre absurde, skurrile, humorige,
kurz: phantasievolle Ausgestaltung innerhalb einer raffinierten Gesamtkomposition
mit bis ins Schizophrene reichenden Namensdopplungen und Erzählungen
in der Erzählung in der Erzählung sollte dies eindeutig bejahen. Aber
wie, wie hat er dies bewerkstelligt, welcher Hebel diente ihm zur Umsetzung?
Die Antwort, die Lösung für das Problem des Autors Patrice Nganang lässt
erstaunen! Dieses umfangreiche Werk wurde, wie er in dem vorgenannten
Interview berichtet, von ihm zunächst in englischer Sprache geschrieben
und anschließend frei ins Französische übertragen.
*"La
plus grande prison pour l’imagination des écrivains africains
aujourd’hui, c’est le français (Das größte
Gefängnis für die Fantasie des afrikanischen Schriftstellers
ist das Französische/die französische Sprache)" Interview
von Christian Eboulé für Cultures Sud mit Patrice Nganang,
anlässlich des Erscheinens des Romans Mont Plaisant (dt:
Der Schatten des Sultans)
(Originaltitel:
Mont Plaisant)
12/2012
© by Janko Kozmus |