DIE MARABOUT-SEITE
linie

linie
linie
ADICHIE: BLAUER HIBISKUS
linie
Amazon-Bestellung:
Bitte MouseOver-Bild anklicken!
linie
Rezension: → Helon Habila - Öl auf Wasser

Entführung ins eigene Ich

Nach Waiting for an Angel und Measuring Time ist 2010 mit Oil on Water der dritte Roman des 1967 geborenen Autors Helon Habila erschienen. Unter dem Titel Öl auf Wasser wurde er jüngst als erstes Werk ins Deutsche übersetzt.

Wie die beiden Vorläufer ist auch Öl auf Wasser vordergründig ein politischer Roman. Etwa anderthalb Jahrzehnte nach dem von der Militärdiktatur Sani Abachas zu verantwortendem Tod durch Erhängen des Umweltaktivisten und Schriftstellers Ken Saro-Wiwa und seiner Mitstreiter nimmt es das brisante, noch immer aktuelle Thema der Ausbeutung Nigerias, des ergiebigsten Erdöllandes Afrikas, zum Handlungshintergrund.

Im Mittelpunkt des Romans steht Rufus, ein noch junger, zuletzt nur als Fotograf eingesetzter Reporter. Völlig unerwartet scheint nun doch seine Chance gekommen zu sein, sich beruflich beweisen zu können. Als die Ehefrau eines Managers von einem der großen, an der Ausbeutung im Lande beteiligten Ölkonzerne entführt wird, sucht der Gatte den ehemaligen Starreporter Zaq auf. Der soll das Wagnis auf sich nehmen, die Frau zu finden und mit den Entführern Kontakt aufzunehmen, die ja - so die berechtigte Vermutung - doch nur Geld erpressen wollen, inzwischen fast schon so etwas wie eine schlechte Angewohnheit innerhalb der Region. Dabei benötigt Zaq Unterstützung. Die Wahl unter mehreren Freiwilligen fällt auf Rufus.

Der Erzähler Rufus bestimmt die Ich-Perspektive der Handlung und nutzt dieses Privileg zum Vorteil des Lesers, indem er sich facettenreich präsentiert. Sein erzählerischer Ton ist differenziert, gänzlich unaufgeregt und frei von feuilletonistischem Vokabular, nicht unbedingt selbstverständlich für einen Protagonisten, der dem Journalistenberuf angehört. Als Einstieg wählt er nicht den Anfang der zu erzählenden Geschehnisse, sondern stürzt den Leser gleich mitten hinein. Zuvor weist er noch auf ein Problem des Erzählens hin, wenn er eingesteht, dass die Erinnerung auf halber Strecke nachlasse, Nebel aufsteige und Orte und Gesichter verhülle "und mir bleibt nur, mich verloren durch die Dunkelheit zu tasten und die verschwommenen Augenblicke im Weitergehen neu zusammenzufügen ..." So erfährt der Leser zunächst von einem Unfall, der zugleich eine Familientragödie darstellt, da der - unfreiwillige - Täter und das Opfer Rufus' nächster Verwandtschaft angehören.

In der Mitte des Flusses fahrend, wo das Wasser klar ist, während es näher an den Ufern brackig wird, "eingeschlossen von den Mangroven, in deren Zweigen der Dunst in Klumpen hing wie Baumwollbällchen", passieren sie verlassene Dörfer. Deren Bewohner wurden - wie der alte Mann und sein Junge, die die beiden Journalisten in ihrem Kanu den Fluss hinauf ins Landesinnere befördern - durch die Ölverschmutzung ihrer Erwerbsmöglichkeit, der Fischerei, beraubt. Diese Flussfahrt zu Beginn des Romans prägt sich - trotz impressionistischer Baumwollbällchen - als scharf konturiertes Bild ein. Es erinnert in Verbindung mit der beständigen Innenschau des Ich-Erzählers an jene andere berühmte Flussreise, die in Conrads Herz der Finsternis führt. Auch hier lauern allerorten Gefahren. Ob jedoch die Reisenden am Ziel mit den feindlich gesinnten, bewaffneten Rebellen ein Zentrum des Bösen erwartet, bleibt dem Standpunkt des Lesers überlassen. Jedenfalls ist es den beiden Protagonisten bewusst, dass die verschiedenen Rebellengruppen dem Journalistenstatus im Verfolgen eigener Interessen nicht selten wenig Wert beimessen.

Die Identifikation mit den beiden Hauptfiguren - Rufus und Zaq - fällt dem Leser nicht schwer. Das Hineingestoßensein der Journalisten, die der städtischen Bildungsschicht angehören, in eine fremdartige Situation ist trotz der Freiwilligkeit des Unternehmens jederzeit evident. Ohne eine Führung, wie die des alten Mannes, würden sie nicht weit kommen. Der Alte führt sie an Plätze, wo Hinweise über den Verbleib der Entführten zu erhoffen sind, und ihnen auch sonst geholfen wird. Dies wird schon bald bitter nötig werden, da die Glanzzeit des einstigen Starreporters Zaq in jeglicher Hinsicht der Vergangenheit angehört. Aus dem Vorbild der Zunft, zu dem die schreibende Jugend - unter dieser auch Rufus - aufblickte, ist ein versoffener und zudem ernsthaft erkrankter alter Mann geworden.

Die Stationen, die die vom Zufall zusammen geschweißte Gruppe anläuft, bieten dem einer christliche Familie entstammenden Autor Helon Habila Gelegenheit, gestützt auf eine raffinierte Konstruktion, die das Bewusstsein und die Konzentration des Lesers schärft, eine dichte Atmosphäre zu entfalten. In welche Lage auch immer die Gruppe gerät, ob sie sich in die bittere Leere bereits verlassener Dörfer verirrt oder der zur Ansteckung neigenden Angst von ausharrenden Dorfbewohnern begegnet, allseits ist die vom Kampf zwischen Rebellen und Soldaten ausgehende Gefahr zu spüren. An wenigen Stellen nur kommt Idylle auf, wie sie andeutungsweise zu Beginn des Romans auf dem von Mangroven umsäumten Fluss aufkeimt und vorübergehend eine exotische Lust am Reisen entfacht. Die kleine Insel Irikefe allerdings, und hier insbesondere der Schrein, lädt die Protagonisten wie den Leser zum Verweilen ein. Der Schrein bezeichnet die Kultstätte einer religiösen Sekte. Bevölkert von freundlich gesinnten Menschen, die das Treiben um sie herum wie teilnahmslos ignorieren, bestrebt, sich nur so weit in Rebellenaktivitäten verstricken zu lassen, wie es ihre Sicherheit nicht gefährdet. Man möchte diese Zufluchtsuchenden ihrem Frieden mit der Welt, ihrem Priester Naman, ihrer Meditation im Skulpturengarten oder dem morgendlichen Läuterungsbad überlassen, meldete sich nicht der kritische Verstand und flüsterte einem - vorschnell? - ein: Eskapismus.

Nicht viel später, Rufus hat inzwischen "seine" Gloria kennen gelernt, der durch ihre Funktion als Krankenschwester Neutralität verliehen wird, erfährt der Leser, dass Naman das rechte Maß, die Balance im Umgang mit den Rebellen und den sie jagenden Soldaten des Regimes - wie sonst so oft in der Vergangenheit - dieses Mal nicht gefunden hat. Der Skulpturengarten - versteinerter Inbegriff eines auf urchristlichen, somit egalitären Fundamenten aufgebauten gesellschaftlichen Modellversuchs - weist deutliche Spuren eines Kampfes auf. Schreckliche Bilder drohen beim Leser wachgerufen zu werden. Stattdessen wird er von einer der inspiriertesten Beschreibungen des Romans überrascht: Der Anblick zerbrochener Statuen habe bei Rufus den größten Eindruck hinterlassen. "Die Arme und Beine vom Kopf getrennt. Ich erinnere mich an ein Gesicht, dessen Schreckensausdruck so lebensecht war, dessen Augen so beweglich, dass sie mich anstarrten und mir folgten, als ich vorüberging, die Nase gebrochen, der Mund halb geöffnet, als wollte die Skulptur mir ein Geheimnis verraten."

Und tatsächlich scheint es so, als seien die Beiden ihrem Geheimnis, dem des Aufenthaltsortes der Entführten auf die Spur gekommen. Doch sind sie nicht gewillt sich auf Namans Aussage, das Grab der Gesuchten befinde sich ganz in der Nähe, zu verlassen. Entschlossen ziehen sie los, mit Spitzhacke und Schaufel bewaffnet, um der Sache auf den Grund zu kommen. Doch das Geheimnis, Motor und Antrieb der Erzählung, die hier an ihrem Scheitelpunkt angekommen ist, bleibt gewahrt. Die beiden Protagonisten aber müssen der Insel entfliehen. Und wieder heißt es: "In der Flussmitte war das Wasser klar, näher an den Ufern aber stand es brackig, eingeschlossen von den Mangroven, in deren Zweigen der Dunst in Klumpen hing wie Baumwollbällchen". Deutlicher, als mit dieser wörtlichen Wiederholung, kann es der Autor dem Leser nicht vor Augen führen, dass er einerseits an den Anfang der Erzählung zurückgekehrt ist und dass andererseits diese Insel, auf die es die Protagonisten erneut verschlagen wird, eine zentrale Bedeutung innerhalb der Romanhandlung einnimmt.

Download
RTF-Datei
Entführung ins eigene Ich
PDF-Datei

Dieser Ort, von dem ein Magnetismus auszugehen scheint, dem sich die Protagonisten nicht entziehen können, zwingt die Beiden zur Besinnung, raubt ihrem ursprünglichen Plan den einzigartigen Stellenwert. Denn, so scheint es, nicht die Sorge um die Entführte motivierte das Handeln von Rufus und Zaq, seine immense Bedeutung resultierte aus der erhofften gesellschaftlichen Stellung als Topjournalisten. Doch dieser symbolhafte Ort durchbricht die Oberfläche des Motivationsgeflechts und zwingt die Protagonisten zur Auseinandersetzung mit tieferliegenden Schichten. Zaq kann an seinen Erfolg als einstiger Topjournalist nicht anknüpfen und stirbt auf der Insel; Rufus nimmt zwar seine Verantwortung wahr, indem er alles Nötige in die Wege leitet, um die Entführte noch zu retten. In der Liebe zu Gloria aber erkennt er, worin für ihn wirkliche Bedeutung liegt.

Öl auf Wasser
erreicht beim
Deutschen Krimipreis
2013 in der
Kategorie International
den 2. Platz

Dem Urteil des Lesers bleibe überlassen, ob ihm mit dem Auftauchen von Rufus' Schwester, dem Opfer der vorgenannten Familientragödie, an diesem Ort, wo auch sie Zuflucht und Ruhe findet, des Guten nicht zu viel zugemutet wird. So ist denn diese ansonsten beeindruckende Erzählung, mehr Abenteuer- und Entwicklungsroman und im Aufzeigen eines utopisch anmutenden Gegenentwurfs, der die Gefahr der Ignoranz gegenüber ausbeuterischen Verhältnissen in einem an Rohstoffen reichen Land in sich birgt, mehr Utopie als politischer Roman.

(Originaltitel: Oil on Water)

05/2012 © by Janko Kozmus
ZUMPORTRAIT

Sie haben dieses Buch bereits gelesen?! Dann beteiligen Sie sich bitte mit einem Votum für dieses Buch an der BESTEN-LISTE afrikanischer und arabischer Literatur auf der MARABOUT-SEITE !

Weitere Rezensionen zu subsaharischen Autoren (Zufallsauswahl erneuern / Vollständige Autorenliste [ohne Südafrika])


ZUMPORTRAIT
linie