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Sturm-
und Drangzeit im Leben des Gregoire Nakobomayo
Gregoire
scheint ein unauffälliger Mechaniker zu sein, stolz darauf, sich
sein solides Haus selbst erbaut zu haben. Seine Nachbarn im Derjenige-der-Wasser-trinkt-ist-ein-Idiot-Viertel
haben keinen Anlass etwas anderes in ihm zu sehen, als den strebsamen
jungen Mann, der zur Zufriedenheit seines Chefs und der Kunden Autos
repariert. Daran kann auch sein wenig attraktives Äußeres mit dem etwas
unförmigen Kopf nichts ändern. Wer allerdings, wie der Leser,
in sein Inneres zu kriechen vermag und erfährt, dass seine Eltern
ihn weggegeben haben, er also im Waisenheim und bei diversen Gastfamilien
einer nicht immer musterhaften Behandlung ausgesetzt war, der beginnt
dessen absonderliche Denkweise zu verstehen.
Eine nicht nachlassende Neugier beim Leser erzeugt der 1966 in der
Republik Kongo
("Brazzaville") geborene Schriftsteller
Alain Mabanckou mit den vielen kleinen Hinweisen auf die emotionale
Beschaffenheit seiner Hauptfigur, die das Bild eines eigentlich ziemlich
normalen jungen Mannes vermitteln. Gar gelegentliche Anflüge von
Mitgefühl sind ihr nicht fremd. Im krassen Widerspruch dazu steht
Gregoires von vorneherein geäußerter Wunsch, ein Killer sein zu
wollen. In der Rückschau des in der Ich-Form erzählenden Entwicklungsgeschädigten
wird diese Haltung innerhalb einer verqueren Logik, in die der Leser
schnell eingewoben wird, nachvollziehbar. Um es weniger analytisch auszudrücken:
Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn ... ja, wenn er
nicht seinem Stiefbruder ein Auge ausgestochen hätte. Dieser hatte
es absolut verdient, bestraft zu werden. Schleichen sich da nicht auch
gewisse Zweifel zwischen die Zeilen des inneren Monologs? Vielleicht
war das Strafmaß doch nicht ganz angemessen, scheint der gelernte Jurist
Mabanckou seiner Figur zuzuflüstern. Bedenken dieser Art jedoch
lässt der Heranwachsende nicht so recht gelten, stattdessen wertet
er - ohne sich dessen selbst bewusst zu sein - dieses Ereignis um, so
dass es ihm fürderhin als Ansporn, als notwendige und erste Gewalttat
dient, der sich viele, weitaus bestialischere anschließen sollen. Die
allerdings verfolgen, zumindest vordergründig, eine bestimmte Absicht.
Gregoire will sein Viertel vom Abschaum befreien, vom Aussatz bezahlter
Liebesdienerinnen. Dabei scheint er gleichzeitig in der Prostitution
einen durchaus nützlichen, wenn nicht gar ehrbaren Berufsstand
zu sehen. Was ihn jedoch wirklich aufbringt, das sind jene Prostituierte,
die vom "linken Ufer" kommen und im wahrsten Sinne des Wortes
die Preise kaputt machen, nicht für die Freier, sondern für
die Huren selbst!
Früher wurde die Straße, in der die Mädchen und Frauen ihre
Dienstleistungen anbieten, die "Mindestens-Sechshundert-Francs-Straße"
genannt. Und was ist daraus geworden? Eine läppische "Nur-Einhundert-Francs-Straße".
Was sagt uns ein solcher Gedankengang über den Helden? Er bringt
durchaus ein ehrliches und ernsthaftes Gefühl von Solidarität
auf. Will uns der Autor damit augenzwinkernd auf die im ehemals sozialistischen
Kongo angestrebte Existenzsicherung für jedermann hinweisen? Zwar
verlegt Mabanckou seine Handlung in eine fiktive namenlose Stadt, doch
sind in den häufig auftretenden Verweisen auf die "Stadt dort
drüben" oder die "Stadt am rechten Ufer" unschwer
die Zwillingsstädte Brazzaville und Kinshasa erkennbar, die jeweils
die Hauptstadt einer Republik darstellen. Im Übrigen lässt der
- französisch schreibende - Autor uns an einem konkurrierenden
Gefühl teilhaben, das die jeweiligen Bewohner dieser Städte
gegeneinander hegen mögen und das die Fiktion mit einem realistischen
Kern ausstattet. Einen weiteren und dazu noch atmosphärisch gelungenen
Realitätsbezug präsentiert der Autor in der Szene, als sein
Held ungeduldig auf eine Nachricht von seiner Tat im Radio wartet. Diese
müsste doch zwischen Mitternacht und eins kommen, "in den
leeren Stunden, wenn die Ohren der Hörer mit traditioneller Pygmäenmusik
gesättigt werden". Unglaubwürdig, eine solche Aussage,
von diesem tumben Gesellen? Nein, gar nicht, hat er doch ganz bescheiden
einfließen lassen, in der ein oder anderen Gastfamilie durchaus die
Möglichkeit gefunden zu haben, sich etwas Bildung anzueignen. Offenbar
nicht genug, um dieses bizarre und gefährliche Bestreben überwinden
zu können. Aber welche andere Möglichkeit bietet sich einem
Niemand schon, als seinem großem Idol nachzueifern? Sich klarzumachen,
dass ein jedes Vorbild in grenzenloser Nachahmung zur Monstrosität
gerät, bedeutete, sich der einzigen Möglichkeit zu berauben,
jemand zu werden, jemand zu sein.
Saftig und witzig geschrieben ist diese Erzählung des seit 2001
in den USA lebenden Schriftstellers. Nur an wenigen Stellen gibt er
der Versuchung nach, die ansonsten angedeuteten Gewaltphantasien in
Szene zu setzen. Nur zu gut weiß er, dass sie nicht nur die ohnehin
zerbrechliche Identifikation des Lesers mit dem Ich-Erzähler bedrohen,
sondern vor allen Dingen das meist eingelöste Bedürfnis, seiner
Figur die Treue zu halten bei gleichzeitiger, satirisch motivierter,
deformierender Darstellung seiner Charakterstruktur. Etwas ermüdend
wirkt dagegen die häufige Wiederholung der sich über mehr
als eine halbe Zeile ausdehnenden Eigenschöpfungen, wie Derjenige-der-Wasser-trinkt-ist-ein-Idiot-Viertel
und anderer, so dass man nach zwei-, dreimaliger Wiederholung diese
zu überfliegen beginnt und die anfänglich amüsante Wirkung
verpufft.
Darüber
hinaus lässt Alain Mabanckou seinen Ich-Erzähler der inneren
Logik folgen: Wenn schon nacheifern, dann gilt es zumindest, ein würdiger
Nachfolger des Idols zu werden. Nichts anderes hat der legendäre
Serienkiller Angoualima verdient. Dessen Grab sucht sein inspirationsheischender
Schüler periodisch auf. Unglücklicherweise ist es nicht immer
Inspiration, die ihm zuteil wird. Nach Ablauf einer gewissen Karenzzeit,
in der der Möchtegernkiller Zeugnis für seine hehren Mordvorsätze
ablegte, wird sein Vorbild ungeduldig. Absurd-komische Szenen präsentieren
sich dem Leser, als Gregoire den Die-Toten-denen-es-nicht-erlaubt-ist-zu-schlafen-Friedhof
ansteuert. Bei den ersten Besuchen verhält sich Meister Angoualima
noch, wie's einem Toten gebührt, nämlich still, unnahbar und
... unsichtbar. Irgendwann jedoch schält er sich in voller Statur
aus einem Nebel heraus und sitzt auf dem Erdhügel seiner Heimstatt
oder lehnt lässig am Grabstein und lauscht den verzweifelten Versuchen
seines selbst ernannten Schülers, sein Versagen zu kaschieren.
Schnell wird er zum Schweigen gebracht, außer einem "Ja, Großer
Meister" oder "Nein, Großer Meister" wagt er nichts mehr
zu sagen. Seine inzwischen vollbrachten Taten enttäuschten nicht
nur sein Vorbild, sondern auch ihn selbst, ließen sie ihn doch höchst
unbefriedigt zurück. Unabdingbar und immer drängender bedarf
es der Kulmination, der ultimativen Tat, des Mordes an der Hure Germaine.
Wieder sitzt er in seinem Zimmer und wartet. Gegen elf Uhr wird Germaine,
die seit einigen Wochen bei ihm lebt, ihre Tagespflichten erledigt haben.
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