Die nigerianische Tageszeitung Daily Sun, die
sich selbst als König der Boulevardblätter bezeichnet,
stellt in einem erstaunlich detaillierten Bericht den wenig
beachteten literarischen Norden des Landes vor:
"Die
Schriftsteller des Nordens haben ein Zeichen in der nigerianischen
Literatur gesetzt -
Mallam Aliyu Jibia"
Henry
Akubuiro, der Verfasser des Artikels für Daily Sun
führt zunächst den Schrifsteller und Dozenten für
Englisch und Europäische Studien an der Bayero University
in Kano ein, bevor er auf das literarische Übergewicht
des Südens zu sprechen kommt: "Nigerias meist gefeierte
Schriftsteller, die →
Achebes,
Ekwensis, →
Soyinkas,
Ikes, Amadis, Okaras, Okigbos, Osofisans, Osundares - sie
alle grüßen vom südlichen Teil des Landes.
Trotz dieses Ungleichgewichts, so habe sich Mallam Jibia in
einem Interview mit der Sunday Sun geäußert,
habe der Norden eine erhebliche Wirkung auf die Literatur
des Landes ausgeübt und beklagte sich vor dem Hintergrundlärm
der 24. Konvention der Association of Nigerian Authors
(ANA) in Kano über den nigerianischen Leser, der die
Werke von Schriftstellern dieser Region nicht lese. Bemerkenswert
seien Schriftsteller wie Mohammed Sule, Autor von The Undesirable
Element (Das unerwünschte Element), The Devil
Seat (Der Teufelsplatz) oder The Black Temple (Der
schwarze Tempel) des verstorbenen Mohammed Tukur Garba, mehr
als ein Dutzend Romane von Abubakar Gimba oder Zainab Alkalis
Werk, Zukogis Romane und Gedichtsammlungen, ganz zu schweigen
von Ibrahim Tahir einzig dastehenden, berühmten Werk
The Last Imam (Der letzte Imam). Außerdem verweist
er auf Sheme Mallam und andere Schriftstellerinnen und sagt:
"Die bittere Wahrheit ist, dass der Bewohner der nördlichen
Region ab und zu etwas von anderern liest, aber selbst kaum
von anderen gelesen wird, aus Gründen, die diesen bestens
bekannt sind."
Sein
Gefühl sei ein Nachhall von Emman Usman Shehu, eines
anderen prominenten Schriftstellers des Nordens. Doch treffe
die Schuld zum Großteil auch Buch-Promotion und -Marketing,
weil manche der genannten Bücher in anderen Teilen des
Landes gar nicht erhältlich seien.
Gefragt
nach seiner eigenen Inspiration für das Schreiben, sagte
Mallam Jibia, er sei motiviert durch "die alte Haussa-Kultur
des Geschichtenerzählens, ein Zug, der das Leben eines
durchschnittlichen Haussa-Mannes charakterisiert, sei es in
einer Hochzeitsgesellschaft oder in einer Zeremonie der Namengebung."
Es gehe durch alle Altersklassen, bemerkt er und unterstreicht,
"für einen durchschnittlichen Haussa-Mann ist es ein
Moment der Freude und in jeder Gesellschaft hoch geschätzt.
Geschichtenerzähler haben ein Zeichen in unserer Gesellschaft
hinterlassen. Außerdem habe ich einige Inspiration aus
Achebes Schreiben und dem anderer Nigerianer, wie auch einiger
anderer afrikanischer Schriftsteller erhalten".
In
seinem Debut, The Hunt Begins (Die Jagd beginnt), beschreibt
Akubuiro, werde die Ehekrise, in deren Folge die Eltern ihrer
Tochter einen Bräutigam aufdrängen wollen, doppelt
reflektiert. Der beliebte Schulleiter des Dorfes gebe seine
Tochter Mariam gegen ihren Willen dem wohlhabenden Alhaji
Sambo, wodurch er sie dazu zwinge, mit ihrem Freund durchzubrennen.
"Was will Mallam Jibia damit sagen?" fragt Henry Akubuiro.
In den 70ern, so enthülle der Autor, "waren erzwungene
Heiraten die Hauptbeschäftigung unserer Eltern. Außerdem
legte die Gesellschaft großen Wert auf westliche Bildung
und sah diese als einzigen Weg zu Größe, als ob
man sein Vermögen einsetzen könnte, um einen Platz
für sein Kind sichern zu können. Kein Wunder, dass
Mallam Adamu selbst verarmt und seiner Familie beraubt wird,
um Saidu in der Universität zu halten."
Saidu
betrüge im Roman das in ihn gesetzte Vertrauen seiner
Eltern mit unmoralischem Verhalten. "Der Autor portraitiert
Saidu als einen Versager, der die ihm von Mallam Adamu gegebene
Chance missbraucht. Mallam Jibia gemäß bedeutet
dessen Affäre mit Mariam und die verboten Beziehung zwischen
ihnen einen traurigen Kommentar auf die akademische Gemeinschaft."
Wie
für den Rektor sei es auch für den Autor das Ziel,
die Art der Lebensführung der Grundschullehrer widerzuspiegeln,
die von der Gesellschaft als ein Signalfeuer gesehen würde,
als ein Vorbild für andere, dem es nachzueifern gelte,
hier jedoch fänden wir solch eine vornehme Klasse von
Menschen vor, die an schmutzigen Affären teilnimmt. "Das
ist nicht nur moralisch enttäuschend, sondern gesellschaftlich
verachtenswert", beteuert Jibia. Die Gemeinschaft der Himma
in The Hunt Begins sei eine, die komme, um mit Modernität
und den ihr eigenen Lastern zuzugreifen. "Da ist die Dirne
Laraba, der habgierige Alhaji Maikudi und andere fragwürdige
Charaktere, einschließlich der Schwindeleien an der
Universität der Stadt." Zwanzig Jahre später möchte
man gern wissen, ob die Gesellschaft sich von der Welt der
Himma unterscheide. Jibia glaubt, sie tue es, weil "die Menschen
verantwortungsbewusster sind und weniger tolerant sozialen
Lastern gegenüber".
In der Vergangenheit, sage er, konnten nur schwache Stimmen
gehört werden, die ernsthafte Herausforderungen formulierten
an die "moralischen Zwerge" in unserer Mitte, aber jetzt ist
es fast die gesamte Gesellschaft. "Laraba und seinesgleichen
mögen nur in entfernten Ecken entstehender Städte
und ländlicher Gegenden existieren. An seine Stelle ist
der westlich gebildete, vielleicht ranghohe, unverheiratete,
verwitwete oder geschiedene Technokrat getreten, über
den überschwänglicher Reichtum und Wohlwollen von
den Korridoren der Macht geschüttet wird. Dies sollte
ein anderes Thema von The Hunt Begins sein". Diese
Bemerkung falle wie ein Eklat, schreibt Henry Abukuiro. Die
Fachleute der Bayero Universität beabsichtigten mit diesem
Thema im zweiten Roman weiterzumachen, aber eine Übersicht
des Verlagshauses Macmillan setze dieser Sache ein Ende.
Im folgenden Zitat blickt Mallam Jibia selbst auf dieses schmerzliche
Ereignis zurück: "Eigentlich fuhr ich mit dem Thema von
The Hunt Begins in The End of The Road (Das
Ende der Straße) fort, dem zweiten Roman, der in den
Händen eines Verkaufsagenten von Macmillan verloren ging.
Ich war im Iran unterwegs, um an einer Internationalen Konferenz
teilzunehmen, als meine inzwischen verstorbene Frau dem damaligen
Bildungsbeautragten im Katsina-Staat das Skript aushändigte,
wie auch den Entwurf an den Vertreter von Macmillan, der versprach,
es im selben Jahr veröffentlichen zu lassen. Seitdem
habe ich weder von ihm noch vom Manuskript eine Spur gesehen.
Das hat mich natürlich demoralisiert. Vielleicht bin
ich deshalb zur Dichtung gewechselt, einem Medium, in dem
man machtvolle Inhalte kommunizieren, starke Botschaften in
wenigen Worten übersenden kann. Ich bin jetzt mehr in
der Dichtung als im Roman zu Hause.
"Die neue Gedichtsammlung, die den Titel The Grandma and
Other Poems (Die Großmutter und andere Gedichte)
trage, sehe der Dichter als einen Versuch an, seine Gesellschaft
zu erforschen und durch die Geschichte hindurch zu analysieren
- gestern und heute. Seine Botschaft beinhalte, dass alles
nicht gut sei und über die Jahre hinweg die Gesellschaft
so viel verloren, so viele blaue Flecken davon getragen habe
als ein Resultat der fast aufgegenen traditionellen Identität
und dem Überstülpen eines fremden, unvereinbaren
soziokulturellen Gewandes. "Die Botschaft ist, dass unsere
Gesellschaft die Wahl hat, zurückzugehen zu ihrer wahren
Identität oder ewig hinter einem unersättlichen
Meister zurückzubleiben."
Die
Sammlung sei voller satirischer Stiche, befindet Henry Abukuiro,
doch der Dichter glaube, dass es mehr gebe als das: "Die Gedichte
sind sicher satirisch, aber in diesem schneidenden Spaß,
überbringt man eine Menge guter Botschaften. (...)"
Kann
es dann - ausgehend von ihrem Urteil, dem Spott auf die Gesellschaft
- bestritten werden, dass diese Generation den Glauben an
ihr Land verloren hat? fragt Henry Abukuiro. Mallam Jibia
verneint dies, bemerkt aber, "dass trotz der gewaltigen menschlichen
und materiellen Resourcen, mit denen wir ausgestattet wurden,
unser Volk immer noch in unvorstellbarer Armut steckt, während
unsere Führer es sich gut ergehen lassen in einer Senkgrube
von Luxus und Überfluss. Das ist gefühllos, unmenschlich
und unzumutbar. Meine Generation weiß, was →
Nigeria
gestern war. Aber das, was wir heute erleben, wird niemals
von den Ungeborenen in der Zukunft akzeptiert werden".
Indem Mallam Jibia ihn, den Berichterstatter, direkt anspreche,
komme er aufs Wesentliche zu sprechen: "Henry, du bist ein
junger Mann mit großen Aussichten. Du wirst mich eines
Tages zitieren, dass die kommende nigerianische Generation
niemals diese gleichgültige, dem Untergang nahe Situation,
die wir durchleben, akzeptieren wird. Sicher war die Vergangenheit
- sogar die jüngste von Murtala, →
Buhari
und Abachas PTF - weit besser als das gegenwärtige Spinnennetz
von Unwägbarkeiten, durch das wir gehen.
Es gebe eine fortwährende Debatte darüber, dass
moderne Dichtung befreit sein sollte von den Fesseln von bewussten
Rhythmus und Reim. In dieser Sammlung scheine Mallam Jibia
diese Linie zu befolgen. Was sei seine Meinung in dieser Debatte?
"Für mich sollte Dichtung frei fließen, ungebunden.
Rhythmen, Reime etc. sollten jenen Berufsschreibern überlassen
werden, die die Lorbeerbekränzten ausloben. Ich gehöre
zu jenen, die für die ungebundene Dichtung eintreten.
In Grandma and Other Poems stechen die moralisch verdorbenen
Frauenfiguren hervor, wertet Akubuiro, besonders in Gedichten
wie Lydia, Taguda, The Slut (Das Flittchen).
Worauf wolle der Dichter in diesen Gedichten hinaus? "Der
eigentliche Punkt ist,", betont dieser, "dass die Frauen respektiert
werden sollten und ihnen gestattet werden sollte, eine stattliche
Position einzunemen wie sie ihrer gesellschaftlichen Stellung
entspricht." In The Grandma schwelge ich in Erinnerungen
meiner Großmutter, die ich nicht kannte und der ich
nie begegnet bin."
Mallam
Jibia scheine eine Faszination für folkloristische und
mythische Dichtung zu haben. Was denke er als Veteran unter
den Schriftstellern von der Stellung der Folklore und der
mythischen Dichtung innerhalb der modernen Literatur? Seine
Antwort klinge wütend: "Ich gehöre keiner bestimmten
Denkschule an. Deshalb habe ich hierzu nichts zu sagen." Was
es mit dem Kommentar von Emman Usman Shehu auf sich habe,
fragt Akubuiro zuletzt, die schreibe, dass Schriftsteller
des Nordens phlegmatisch gewesen seien, was die Kunst des
Heiratens und des sozialen Engagements angehe? Jibias kategorisch-knappe
Antwort: "Ich stimme nicht mit meinem Bruder Shehu überein.".
Und Akubuiros stimmungsvoller Schlusskommentar: "Sein wehender
weißer Kaftan fegt über den Boden, als er davongeht
und dabei auf seine Armbanduhr sieht. Die Bayero-Universität
ruft." (Daily Sun, Nigeria, ÜEK:
J.K.
)
Quelle:
Daily
Sun, englischspr. nigerian. Tageszeitung (Vanguard)
Anmerkungen:
*
inkl. arabischer Raum
ÜEK: J.K. --> Aus dem Englischen
übersetzt u. kommentiert v. Janko Kozmus ©
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