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Rezension: → Damon Galgut - Der Betrüger

Kompromisse und Halbwahrheiten oder: ein Stück aus dem realen Leben

 

Für eine Weile gelingt es Adam, den Kompromissen und Halbwahrheiten der hässlichen, der realen Welt zu entrinnen. Und er nimmt den Leser mit auf eine seltsame und unaufdringlich-schöne Reise, die alles bietet, was sich so manch einer erträumt, der in der Mitte des Lebens verzweifeln möchte an der Schlechtigkeit der Welt, an seiner eigenen Unfähigkeit, sich ihren Regeln entweder unterzuordnen oder sie im Gebrauchsfall zu biegen und notfalls zu brechen. Eine Reise, die, ungeachtet der Tatsache, dass der Held diesem Alter längst entwachsen ist, angetrieben wird von jugendlichem Übermut, die reizvolle Aussichten einschließt und ungewöhnliche Alternativen, insbesondere die Möglichkeit, eine Brücke zur eigenen Vergangenheit zu schlagen. Mit staunenswerter Leichtigkeit wird der Leser eingestimmt, bis er bereit ist, den Weg seines Helden als authentischen Versuch einer radikalen Veränderung zu akzeptieren.

Der Betrüger ist bereits der vierte Roman des 1963 als Sohn einer angesehenen Richterfamilie in Pretoria geborenen Südafrikaners Damon Galgut, der einmal sagte, aus Freud'scher Sicht assoziiere er das Schreiben wahrscheinlich mit Liebe und Aufmerksamkeit. "Einen Großteil meiner Kindheit war ich krank und besitze Erinnerungen, wie mir am Krankenbett im Hospital eine endlose Reihe von Verwandten vorliest." Den Krebs, an dem er im Alter von sechs Jahren erkrankte, hat er überwunden und zum Schreiben gefunden.

Adams Geschichte beginnt, als er an den staubigen Rand einer kleinen Stadt zieht, in die Ödnis der Karoo, "einer Halbwüste in der zentralen Hochebene Südafrikas", wie der Verlag auf der Umschlagsseite des schön gestalteten Buches die Handlung treffsicher verortet. Hier, so die Planung, will er sich vom Verlust seiner Arbeit und seines Heims, kurz: von den Verletzungen der besagten realen Welt erholen. Da trifft er auf Canning, von dem ihm bestenfalls eine schemenhafte Erinnerung aus seiner Kindheit geblieben ist und auf dessen rätselhafte und schöne Frau, mit dem in der Welt der Gegensätze zwischen Mann und Frau diskriminierenden Namen Baby. Canning erbte von seinem ungeliebten Vater wirtschaftliche Unabhängigkeit und diesen magischen Ort namens Gondwana, von dem Adam sich nur allzu bereitwillig verführen lässt.

Doch auch der alternative Alltag will bewältigt sein, sprich: das Häuschen will gereinigt, die Verwilderung des Gartens im Zaum gehalten und ein kauziger, nicht einzuschätzender Nachbar will beobachtet sein. Die ersten Tage und Wochen lässt Adam die Verwahrlosung um sich greifen. Vielleicht gehört dies zu seinem Bild der Profession, der anzugehören er anstrebt. Schon einmal, als junger Mann, hat er mit einiger Anerkennung einen Gedichtband veröffentlicht. Er ist überzeugt, an den Anfangserfolg anknüpfen zu können. Da er von vorneherein wusste, es würde nicht einfach werden, hat er viel Geduld mit sich selbst, und das nötige Glück verhilft ihm zur willkommenen Ablenkung. Er trifft auf Canning, der ihn mit in sein Reich nimmt und es schafft, ihn in kürzester Zeit darin einzubinden. Ob er ahnt, dass dies weniger seiner - für ihn selbst tiefen - Freundschaft zu dem Helden seiner Kindheit geschuldet ist, nicht einmal der Faszination für die fantastische Landschaft, in die sein Anwesen eingebettet ist, sondern eher den Verlockungen der kalten Schulter, die Baby, die schöne Schwarze, dem Dauergast zeigt.

Schon bald verbringt Adam jedes Wochenende bei seinen neuen Freunden, während er sich wochentags mit der Zähmung der wilden Wörter und Pflanzen und der Annäherungsversuche des sonderbaren Nachbarn herumplagt. Seltsam nur, dass er die Veränderung, die mit ihm vor sich geht, nicht zu bemerken scheint. Zunächst belügt er Canning, was sein Häuschen anbelangt. In einem nahezu unbedeutenden Anfall von Scham verweist er, nach seinem Haus gefragt, auf das des Nachbarn, weil das von ihm bewohnte ihm allzu schäbig erscheint, als dass er sich damit nach außen identifizieren könnte. Dann belässt er Canning in dem Glauben, sich an ihre schicksalhafte Begegnung in der Schule erinnern zu können. Dabei ist ihm jegliche Erinnerung an diesen Kenneth, wie er mit Vornamen heißt, genommen. Zu guter Letzt, der geübte Leser hat es längst antizipiert, betrügt er den cleveren Geschäfts-, aber naiven Privatmann Canning mit dessen innig geliebter Ehefrau, mit Baby.

All dies erzählt Damon Galgut ohne Hast, fast beiläufig. Gerade noch fragt sich der Leser, bei aller Schönheit der Worte, worauf soll das Ganze hinaus laufen? Da ist er schon eingesponnen und möchte mehr erfahren über dieses so ungleich besetzte Trio. Erwartet Baby, dass Adam ihren Mann ermordet? Ganz offensichtlich liebt sie diesen nicht. Aber liebt sie ihn denn mehr? Liebt sie ihn so sehr, dass sie, als seine Eva, in diesem Garten Eden leben möchte? Doch nicht metaphysische Kräfte vertreiben sie aus dem Paradies, es sind die Pläne Cannings, die dafür sorgen werden. Als Adam von ihnen erfährt, beginnt für ihn diese andere Welt einzustürzen. Um so mehr, als eine alte Dienerin ihn mit der Hausherrin in flagranti erwischt. Obwohl Baby verspricht, sich um die Angelegenheit zu kümmern, fürchten die beiden Liebenden von nun an, ihr Geheimnis könnte verraten werden.

Ein anderes Geheimnis präsentiert sich dem Leser in der besagten, scheinbaren Zweiteilung der Welt, in die reale und die träumerische, außerhalb der Pflichten stehende. Wodurch erzeugt der Autor Galgut diesen Eindruck, der beim Leser die Sehnsucht nach dieser vom Alltag befreiten Welt bedient? Es ist keineswegs so, dass eine tatsächliche Trennung vorgenommen würde. Hat man zunächst den Eindruck, in der weißen bürgerlichen Mittelschicht gelandet zu sein, in denen die Schwarzen, wie zu Zeiten der Apartheid, nur als Bedienstete anzutreffen sind, so sieht man sich plötzlich dem schwarzen Bürgermeister jener Gemeinde gegenüber, an dessen Rand Adam Zuflucht gefunden hat. Er ermahnt den Neuhinzugezogenen, der Verwahrlosung des Gartens ein Ende zu setzen. Und als Baby ihr Versprechen, sich um die Angelegenheit zu kümmern, auf eine sehr drastische Weise einlöst, indem sie nicht nur die alte Dienerin, sondern deren Mann gleich mit entlässt, trifft der Leser auf einen weiteren Vertreter der aufsteigenden schwarzen Mittelschicht. Doch auch hier, erfährt er nebenbei, hat der Zerfall der Familie, des familiären Zusammenhalts bereits begonnen.

Das von Baby gekündigte Ehepaar taucht Tage später bei Adam auf und bittet um Hilfe. Da er sich mitschuldig fühlt am Jobverlust der Alten, nimmt er sie auf und kontaktiert ihren Sohn. Dieser arbeitet als Dozent für Politologie in Kapstadt und findet erst Tage später die Zeit, sich seiner Eltern anzunehmen. Doch im Vordergrund steht weniger die Sorge um seine Angehörigen, als vielmehr die ideologische Abgrenzung zum weißen Mann. Warum kümmere er sich nicht um seine Eltern, fragt er anmaßend.

Die Aufhebung der Vorherrschaft der weißen Bewohner
Südafrikas ist ein Element, das für eine Verankerung der Romanhandlung in der realen Welt spricht. Es überschneidet sich mit einem anderen, mit dem der Geschäftswelt, die vorrangig durch Canning repräsentiert wird, dessen Geschäftspartner Weiße, vor allem aber einflussreiche Schwarze sind. Beständig ist Canning in irgendwelche Besprechungen eingebunden, was Adam und Baby erst die Möglichkeit eröffnet, eine Affäre zu beginnen. Der zweite Vertreter dieser Gesellschaftsschicht ist Adams Bruder Gavin. Er hat Adam das Häuschen in dieser abseitigen Welt zur Verfügung gestellt und bietet ihm Hilfe an, wo immer dieser bereit ist, eine solche anzunehmen.

Verschiedene Zeichen deuten auf den Zusammenbruch der traumartigen Welt. Er vollzieht sich jedoch erst in dem Moment, als Adam sich von der Stimme, von dem Geist verabschiedet, dessen Anwesenheit er in der anderen Welt spürte, in erster Linie in seiner abseits gelegenen Wohnstätte. Adam ist nach Kapstadt zurückgekehrt und plaudert beim Essen in einem Restaurant mit seinem Bruder und dessen Frau. Nachdem er - nicht sehr ernsthaft - die Rede auf diesen Geist bringt, lockt seine Schwägerin ihn zu weit ins offene Feld, indem sie Parallelwelten ins Gespräch bringt. Nun zieht sich Adam zurück und rückt die symbolische Welt zurecht, d.h. er weist ihren Elementen den gebührenden Platz im Realen zu: Obwohl er sich in dem Haus nie allein gefühlt habe, "glaubte er nicht an Parallelwelten und unsichtbare Wesen. Er begriff besagten ‚Geist' vielmehr als einen abgespaltenen Teil seines Bewusstseins, real und imaginär zugleich, eine Art Abfallprodukt seiner Depression".

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Kompromisse und
Halbwahrheiten ...

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Adams Versuch, das Erlebte ins Reich des Symbolischen zu verweisen, muss scheitern. Sein hässlicher Kern bleibt bestehen und ragt weithin sichtbar ins Reale: die Schönheit Gondwanas wird trotz aller Proteste der Umweltschützer der neuen Funktion geopfert, und Adam muss erkennen, dass er daran nicht unschuldig ist. Und auch jenes rätselhafte, Adam widerwärtig anmutende Ding, das sein Nachbar speziell für ihn angefertigt hat, findet seinen Weg in die reale Welt und erinnert den Leser und wohl auch Adam selbst an eine weitere, weitaus größere Schuld. Eine einsame Entscheidung, möchte man mit dem der Tragweite vielleicht angemessenen Pathos formulieren, stand in rabenschwarzer Nacht an. Eine damals richtig getroffene Entscheidung hätte ein Menschenleben zu retten vermocht und sein eigenes zur Disposition gestellt. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte der Betrüger seinen Weg zurück in die reale Welt der Halbwahrheiten und Kompromisse bereits vollendet.

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(Originaltitel: The Impostor)

04/2009 © by Janko Kozmus
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